Westbahnhof: Drei Jahre Baustelle für Einkaufszentrum und Hotel?
Samstag, 19. April 2008
Bis zur Fussball-Europameisterschaft wird noch zugewartet, danach wird ab September die große Halle des Wiener Westbahnhofs in eine Großbaustelle verwandelt. Von September 2008 bis ins Jahr 2011 bleibt die Halle geschlossen, die Bahnkunden müssen mehrere Jahre lang provisorische Zugänge verwenden, die aber immerhin geräumig und (im südlichen Bereich mit Lift) barrierefrei gestaltet werden.Was bringt der gewaltige Umbau des Westbahnhofs den Bahnreisenden? Laut Infotafel im Westbahnhof soll die „Hochfrequenz-Immobilie Westbahnhof“ sowohl für die Bahnkunden, als auch für die hier wohnende Bevölkerung „qualitativ aufgewertet und zum attraktiven Zentrum einer Stadtregion“ gemacht werden. Aber was ist daran neu? In Zukunft gibt es: Ein ÖBB-Reisezentrum (gibt’s jetzt schon), einen Info-Point (gibt’s schon), ein Hotel (gut, das mag Sinn machen), Büros (ist den Bahnkunden und Anrainern wohl ziemlich wurscht), und ein Shopping Center (da gibt’s in Wien bereits Probleme mit der zu großen Anzahl, siehe die wirtschaftlichen Probleme des Gasometer Centers), wobei ein neues Center als Konkurrenz zur benachbarten Lugner City, zur Einkaufsmeile Mariahilfer Strasse und zum nahen geplanten Komet-Einkaufszentrum auch nicht wirklich sinnvoll erscheint. "Hochfrequenz-Immobilie Westbahnhof" Weiters werden die Geschäfte in der Bahnhofshalle „neu angeordnet“, und es wird unter dem oberen und unteren Geschoß noch ein Kellergeschoß eingezogen. Dies aber mit jahrelangen Belastungen für die Bahnkunden. Resumee: Das einzige, was die ÖBB-Kunden vielleicht interessieren könnte, ist das Hotel, wobei der Westbahnhof aber bald ein reiner Pendlerbahnhof sein wird, da die Fernreisenden nicht mehr dort, sondern am Zentralbahnhof eintreffen. Hotel macht also auch nicht allzu viel Sinn, jedenfalls nicht für die Bahntouristen, da diese quer durch die Stadt vom Zentralbahnhof anreisen müssten. Was also bringt dann der jahrelange und aufwändige Umbau den Bahnkunden und Anrainern wirklich? Irgendwie klingt die Zielsetzung des Projekts eher nach einem Versuch, auf ÖBB-Grundstücken irgendwelche Großprojekte zu starten, um aus deren Erlösen das Finanzloch der Bahn zu stopfen. Dies aber auf dem Rücken der Bahnkunden, die für marginale Verbesserungen eine jahrelange Baustelle hinnehmen müssen. Die ÖBB teilte hierzu mit, dass unter anderem mehr Sauberkeit durch leicht zu reinigende Materialien, mehr Sicherheit durch komplette Videoüberwachung, Barrierefreiheit (die gibt’s jetzt schon), offene Sevicebereiche und eine große Wartezone im Gleisgeschoß Vorteile bringen würden. Vor allem der letztere Aspekt klingt tatsächlich gut, da derzeit im Gegensatz zu früher kein geschlossener, beheizter Wartesaal existiert. Im einstigen kleinen Wartesaal haben sich nämlich Leihautofirmen eingemietet. Einkaufszentrum „Pendler wünschen sich“, so die ÖBB, „am Bahnhof Gastronomie und Einkaufsmöglichkeiten“, deshalb sei ein Einkaufszentrum im neuen Tiefgeschoss sinnvoll. Dem muß entgegen gehalten werden, dass schon bisher eine Bäckerei, ein Lebensmittelgeschäft, eine Buchhandlung, ein Supermarkt und ein Restaurant existierte. Und wie erwähnt stellt sich die Frage, wie viele Pendler in Zukunft überhaupt noch am Westbahnhof ankommen werden, da nicht nur Fernzüge, sondern auch überregionale Pendlerzüge aus St. Pölten und weiter westlich großteils oder zur Gänze zum neuen Hauptbahnhof umgeleitet werden sollen. Nachdem ab 2009 mehrere Jahre lang der Süd- und Ostbahnhof ebenfalls in eine Großbaustelle verwandelt werden und jahrelang alle (!) Pendler- und Fernzüge in Meidling, bzw. Simmering enden, erhebt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, mit dem Bau der „Bahnhofscity Wien West“ beim Westbahnhof zu warten, bis der Zentralbahnhof fertig ist und die meisten Züge ohnehin dorthin umgeleitet werden, sodass weniger Fahrgäste durch die Baustelle belästigt werden. Die ÖBB teilt dazu mit: „Natürlich bedeuten groß angelegte Bauarbeiten eine Veränderung und die Notwendigkeit, sich auf neue Gegebenheiten umzustellen. Das mag für die Kunden kurzfristig nicht angenehm sein - bisher stoßen wir bei Kundenbefragungen aber großteils auf viel Verständnis. Vor allem, weil die meisten Kunden sich auf neue, modernisierte Bahnhöfe freuen und diese wirklich als Bereicherung betrachten“. Kein direkter U-Bahn-Zugang zur U6 Einer der wesentlichsten Mängel des Westbahnhofs bleibt trotz der Umbauten bestehen. Früher fuhr die Wiener Stadtbahn in einem Bogen direkt unter das Bahnhofsgebäude, es existierte ein direkter Bahnhofszugang (allerdings ohne Lift, wie damals üblich). Anläßlich der Umstellung auf die U-Bahn-Linie U6 wurde die Station hinaus unter den Gürtel verlegt, sodass Pendler nun weite Umstiegswege gehen und teilweise sogar den viel befahrenen Gürtel queren müssen. Grund dafür ist, dass in den 80er Jahren geplant war, einen monumentalen, zum Gürtel führenden Autotunnel unter dem Westbahnhof zu errichten, der die U-Bahntrasse verdrängte. Der teure Autotunnel wurde nie gebaut, die U6 blieb weit vom Bahnhof entfernt, und der leere Tunnel der einstigen Stadtbahn unter dem Westbahnhof wird nicht reaktiviert, sondern demnächst beseitigt, wenn unter dem Bahnhof das Einkaufszentrum entsteht. Schade, dass die einzige wirklich sinnvolle Reparaturmaßnahme beim Westbahnhof, nämlich die Rückverlegung der U6 unter den Bahnhof, verabsäumt wird. Gerhard Maier [ zurück ]
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