Die Zivilgesellschaft hat das Recht, mitzureden!
Dienstag, 17. Oktober 2017
Die Vortragenden, die bei der Konferenz „Öffentlichkeitsbeteiligung bei Nuklearprojekten“ sprachen, waren jede/r für sich einzigartig; ReferentInnen aus Österreich, Slowakei, Bulgarien, Ungarn und Rumänien (die tschechischen Kolleginnen waren leider verhindert) zeigten in den einzelnen Präsentationen die Vielschichtigkeit des Themas, die Chancen, aber auch die Begrenzungen:Jan Haverkamp, Energie-Experte für Greenpeace Zentral- und Osteuropa und Greenpeace Schweiz, der aus dem Stegreif über den Status quo der einzelnen europäischen AKWs referierte und was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird: z.B. dass in den nächsten zehn Jahren bei 86 AKWs in der EU eine Laufzeitverlängerung zur Diskussion stehen wird, und jeder Fall wird separat behandelt werden müssen – da wartet viel Arbeit; Gueorgui Kastchiev, früherer Chef der bulgarischen Atomaufsicht und nunmehriger Atomgegner, der detailreich die skurrile, fast unglaubliche Entstehungsgeschichte des bulgarischen AKWs Belene erzählte, eine Geschichte, die vor allem von gefassten und dann wieder umgestoßenen Entscheidungen für das AKW handelte, von veralteten Reaktorteilen, die geliefert wurden, und weil der Bau noch nicht so weit war, im Freien gelagert werden, wo sie vor sich hin rosten ... Albena Simeonova, bulgarische Weinbäurin und Umwelt- und Antiatom-Aktivistin seit Jahrzehnten, die davon berichtet, wie sie ein Netzwerk rund um Belene aufbaut, mit lokaler Unterstützung; wie schwierig es ist, im gegenwärtigen politischen Klima offen die Stimme gegen Atomkraft zu erheben; Bürgermeister, die insgeheim gegen Atomkraft sind, aber es sich nicht öffentlich zu sagen trauen, weil sie befürchten, sonst nicht mehr gewählt zu werden; und von Fotos des vor sich hin rostenden Materials (auf einigen Teilen steht noch „SSR“), die Frau Simeonova gemacht hat, und für die sie jetzt von der bulgarischen Justiz verfolgt wird. Summer Kern, eine junge Rechtsanwältin, die für das Wiener Ökobüro wertvolle juristische Antiatomarbeit leistet, die qualifizierte Beschwerden an das Aarhus Convention Committee formuliert und über alles Bescheid weiß, was es unter den Begriffen „Aarhus Convention“ und „Espoo Convention“ zu wissen gibt; sie gab einen sehr guten Überblick über das EU-Recht und die Beteiligten in der EU, was Nuklearprojekte betrifft: die Möglichkeiten, Probleme und Entwicklungschancen. Reinhard Uhrig von GLOBAL 2000 hat über die verschiedenen Grotesken neueren Datums rund um das AKW Mochovce berichtet: über Flusswasserproben mit einem Wert, der um das ...fache über dem erlaubten Wert für Trinkwasser liegt – und dort, wo die Probe genommen wurde, baden Menschen, da wird geangelt ... Der junge ungarische Aktivist Márton Fabók berichtet über die Entstehungsgeschichte der Ausbaupläne für Paks: Erst durch den unangekündigten Vertrag zwischen Orban und Putin wurde das Thema zum Politikum; die parlamentarische Opposition gegen das Projekt hält sich in Grenzen, die vorhandenen Bedenken sind eher Geldverschwendung, Abhängigkeit von Russland und Korruption und nicht so sehr Risiken der Atomkraft Dana Mareková, slowakische Aktivistin, die sich bei der NGO bankwatch gegen die ukrainischen AKW-Ausbaupläne engagiert, berichtet über öffentlich finanzierte Laufzeitverlängerungen: wie die ukrainische Regierung um Kredite ansucht und die Bedingungen nicht eingehalten werden; die Kredite wurden für die Erhöhung der AKW-Sicherheit gewährt, verwendet werden sie aber für den AKW-Ausbau; sie möchte keine „good guy – bad guy“-Etiketten verteilen, sie erzählt, was passiert ist – jeder möge sich selbst einen Reim machen ... Luminita Simoiu aus Rumänien von der Civic Association for Life berichtet über die bisherigen Ereignisse rund um den geplanten 7. Reaktors im AKW Kosloduj: keine Einbeziehung der Zivilgesellschaft, Ignorieren von Anfragen des rumänischen Umweltministeriums (!), Manipulation von Dokumenten (!) ... Andreas Molin, Koordinator in Nuklearangelegenheiten beim österreichischen Umweltministerium, berichtete sehr kompetent über die Rolle der österreichischen Antiatom-Politik, über die Rolle der Regierung und die der NGOs und die Unterstützung, die erstere letzeren geben kann. In den darauffolgenden Workshops zu den Themen Lobbying, Grenzüberschreitende Kooperation bei den AKWs Kosloduj und Belene, Internationale Kooperation für die Atomreaktoren Mochovce 3 und 4 wurden auf sehr kreative Weise Möglichkeiten gesammelt, gemeinsame Schritte zur Verhinderung oder zumindest Verzögerung von AKW-Neubauten oder Laufzeitverlängerungen zu setzen. Die Konferenz wurde souverän und kompetent geleitet von Patrizia Lorenz, hochrangige Mitarbeiterin von GLOBAL 2000 und Friends of the Earth Europe. Als Abschluss verabschiedeten die TeilnehmerInnen eine Petition, nachzulesen auf unserer Website. Diese beeindruckende Konferenz wurde von Paula Stegmüller und ihrem Team von „Donauraum Atomkraftfrei“ monatelang sorgfältig vorbereitet und organisiert: Zu dem gewählten Thema, das kein leichtes war, wurden, das war offensichtlich, die kompetentesten Experten aus verschiedenen Gebieten in Theorie und Praxis gewonnen. Text: Joschi Arbeithuber für die „Wiener Plattform Atomkraftfrei“ [ zurück ]
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