Mittwoch, 10. Oktober 2007
WIEN (= das rote Wien) ist Spaten. Und Spaten sind zum Graben da. Nicht nur für die innerstädtischen Straßenzüge, genannt „Graben“ und den „Tiefen Graben“. Vom Graben haben auch das „Grab“ und der Toten“gräber“ ihren Namen. Zum Beispiel die Totengräber der Markthalle, die sich beim „Spatenstich“ für Wien Mitte fröhlich vereinigen. Das ist natürlich nicht wörtlich gemeint. Moderne Totengräber graben nicht, sie lassen graben.
Es sticht
Dafür sind sie sich nicht zu gut zu stechen. Nicht nur symbolisch. Das war einmal, als man noch auf drei rote Pfeile gesetzt hatte, welche ins Herz der kapitalistischen Reaktion zielen sollten. Heute gehört man selber zu dieser, will sich daher nicht ins eigene rosarote Fleisch stechen.
Aber abstechen, zum Beispiel die letzte Markthalle Wiens – dazu ist WIEN fest entschlossen. Auch wenn man damit den Menschen ins Herz ihrer Nahversorgung sticht. Auch wenn man den Standlern ihre Existenz „absticht“. Das sind ja „die anderen“. Sozialistische Solidarität im Jahr 2007. Grauslich. Soziale Kälte. Ein Kältestich sozusagen oder aber auch ein Sonnenstich jener Sonne, in deren Licht sich die Stadtväter und -mütter gerne zu zeigen pflegen.
Potentatenprestige
Dahinter steht „der höhere Wille“ – auch wenn man nicht an Gott glauben sollte. Gottähnlichseinwollen ist häufig das Ziel, nicht nur für Gläubige.
Protzbauten selbstherrlicher, sich gottgleich oder gottähnlich wähnender Potentaten säumen den Weg der Mächtigen, von Pharaonen und römischen Cäsaren bis hin zu Figuren wie Hitler, Stalin und Idi Amin. Sie Es gehören zum Imponiergehabe vom Cäsarenwahn befallener Herrscher, die längst keine Grenzen mehr kennen.
Wien ist anders
Wien ist anders. Da war es immer schon der notorische Geldmangel, der das Wachsen der Bäume in den Himmel verhinderte. Schloss Neugebäude, Schloss Schönbrunn, das Kaiserforum der Hofburg – sie alle stehen dafür, dass großkotzige Vorhaben entweder vernünftigere Dimensionen bekommen haben oder unvollendet geblieben sind.
Das Fest zählt
Was das mit Wien Mitte zu tun hat? Da bleibt für Protzbauten nicht mehr viel übrig. Nicht die UNESCO, sondern das Unterschätzen der ökonomischen Zwänge hat dazu gezwungen, dass die Brötchen immer kleiner gebacken werden. Wenigstens ein Hauch von Protzigkeit aber soll erhalten bleiben. Wenn schon die Meinung der Bevölkerung nichts zählt, eines zählt jedenfalls: das Festzelt. Wenn schon der Prestigebau der wirtschaftlichen und auch sonstigen Vernunft gehorchend an allen Orten redimensioniert werden muss, dann wird dieses Minus durch den „Spatenstich“ kompensiert. Der erhält ein Gepränge, wie es noch kein Bauwerk in dieser Stadt erhalten hat. Im Vorhinein versteht sich. Weil das Nachhinein in den Sternen steht. Und die lassen sich nicht, nicht einmal ab- oder an-, er- oder be- stechen.
Helmut Hofmann
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