Replik auf "Die Demokratie verkümmert - doch wen stört es?"
Freitag, 27. Juli 2007
Lange hat man darauf warten müssen, dass ein mutiger Journalist sich einer Frage annimmt, deren Bedeutung für die Demokratie von nur wenigen österreichischen Politikern erkannt und ernst genommen wird: die Frage nach dem politischen Engagement der Bürger. Sie beginnt mit der immer wieder, diesmal sogar von Bundeskanzler Gusenbauer, nachgebeteten "Illusionslosen" Feststellung, "nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Bevölkerung interessiere sich tagtäglich für die Politik". Paul Schulmeister fügt hinzu: "Es stimmt, die meisten Menschen wollen heute von der Politik weder belastet noch belästigt werden."Eine kleine Unschärfe mit großer Tragweite: es ist nicht die Politik, sondern die Politiker sind es, welche die Menschen satt haben. Sie sind es, welche das so oberflächliche wie uralte Klischee von der Politikverdrossenheit immer dann aus dem Hut ziehen, wenn es gilt, passives Wählerverhalten schönfärberisch zu erklären und dabei - welche schöne Tradition! - den schwarzen Peter dem Wähler zuzuschieben. Tatsachen sehen anders aus. Einer von der Stadt Wien in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2002 zufolge ist etwa ein Viertel der Bevölkerung an einer Mitwirkung bei kommunalen Projekten grundsätzlich interessiert, und sogar rund die Hälfte dann, wenn es um ein Projekt in ihrem engeren Lebensbereich geht. Leider wurde diese Studie nicht in dem Maß publiziert, die sie verdient hätte. Man kann nun einwenden, dass Themen wie EU-Beitritt, Globalisierung, Nahostkrise oder Erderwärmung mit kommunalen Projekten wenig zu tun haben. Politik beginnt aber vor der Haustüre. Der Begriff kommt von "Polis", dem Stadtstaat der griechischen Antike, in welchem die Beteiligung der Bewohner am öffentlichen ("politischen") Geschehen selbstverständlich war. Bürgerbeteiligung wächst daher im Grätzel, im Dorf, im Bezirk, dort, wo die Menschen mit den greifbaren Problemen leben , mit ihnen umgehen müssen. Bewährt sie sich dort, kann man sie auf die nächsthöhere Ebene heben, das Interesse auf allgemeinere Fragen zu lenken versuchen. Würgt man sie aber schon an der Wurzel ab, darf man sich über mangelndes Wachstum nicht wundern. Natürlich hat die Staatengemeinschaft die Gefahr der Politikverdrossenheit längst erkannt und das Rezept dagegen gefunden. Sie hat in der 1992 in Rio de Janeiro abgehaltenen Konferenz für Umwelt und Entwicklung (auf welches sich die am 27. Mai 1994 von den Teilnehmern der europäischen Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden in Aalborg beschlossene Charta von Aalborg ausdrücklich bezieht) ein "Agenda 21" genanntes Schlüsseldokument als Instrument der Bürgerbeteiligung verabschiedet. Darin ist die Teilhabe der Bevölkerung an kommunalen Planungs- und Entscheidungsprozessen festgeschrieben. Die UNO hat also erkannt, dass die Teilhabe der Bevölkerung an Planungs- und Entscheidungsprozessen in der Kommune als Korrektiv dienen kann, um von der in Wahrheit längst etablierten Parteienoligarchie zur wahren Demokratie zurück zu finden. Die Frage ist nur: was haben unsere Politiker aus dieser Erkenntnis gemacht? Der Gedanke der Bürgerbeteiligung ist mancherorts - nicht nur in der Bundeshauptstadt - zur Farce verkommen, zu einem von Politikern instrumentalisierten Vorgang, der Bürgerbeteiligung suggerieren soll, davon aber meilenweit entfernt ist. "Partizipationsfalle" lautet der politikwissenschaftliche Fachausdruck dafür. Die Folge sind Dutzende von Bürgerinitiativen, denen beispielsweise die Wiener Stadtpolitik statt mit Zusammenarbeit erklärtermaßen lieber mit Konfontation begegnet. Der UNO-Gipfel für nachhaltige Entwicklung hat im "Aufruf von Johannesburg" nach dem ersten Jahrzehnt der Agenda 21 ein Jahrzehnt der "Local Action 21" als ein "Vorwärts von der Agenda zum Handeln" als Strategie zur beschleunigten Umsetzung zukunftsbeständiger Entwicklung ausgerufen. In Wien haben die Bürgerinnen und Bürger das Gesetz dieses Handelns an sich gerissen. Keine Spur also von Politikverdrossenheit, im Gegenteil wachsendes Interesse an Mitwirkung, gegen die sich die jeweils an der Macht befindlichen Parteipolitiker mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und Tricks wehren. Auf die Idee, die zunehmende Wahlenthaltung spiegle nicht Müdigkeit, sondern Protest gegen die nicht mehr zeitgemäße Praxis der Parteienoligarchie ohne Mitwirkung der Bevölkerung, kommen die Parteigrößen zwar schon, aber sie geben es natürlich nicht öffentlich zu. Sie genieren sich nicht, die enttäuschten und verbitterten Menschen als Fress- und Vergnügungssüchtige zu denunzieren, die nicht bereit sind, das ach so harte und unbedankte Geschäft des Politikers mit ihnen zu teilen. Zum Nulltarif versteht sich, denn wenn schon Bürgerbeteiligung, dann auf eigene Kosten der engagierten Bürgerinnen und Bürger, in deren Freizeit und ohne Ersatz irgendwelcher Auslagen. Wenn es Ihnen, lieber Herr Kanzler Gusenbauer, so um die Teilhabe der Bevölkerung an politischen Meinungsbildungsprozessen geht, besuchen Sie unsere Homepage: www.aktion21.at! Dort werden Sie finden, was uns, den Menschen in der Hauptstadt dieses Landes und auch anderswo, abgeht, auch warum es uns abgeht und was wir an Abhilfe vorschlagen. Keine dramatischen Änderungen des politischen Systems, nicht einmal ein verfassungsmäßig festgeschriebenes Mehr an direkter Demokratie, also an Volksbefragungen und -abstimmungen. "Nur" eine echte Einbindung der Menschen dieses Landes in den Planungs- und Meinungsbildungsprozess, ein Forum, in welchem ehrlich und nicht auf verschiedenen Ebenen kommuniziert wird, in welchem die Politik Bereitschaft bekundet, nicht nur auf sogenannte Fachleute, sondern auch und vor allem auf die kollektive Intelligenz - kein Marktforscher würde heute auf diese verzichten! - zu hören und Bürgermeinungen nicht von vorneherein als lästiges Querulantentum abzuhalftern. Es sollte zu denken geben, dass Aktion21-pro Bürgerbeteiligung kaum ein Jahr nach ihrer Gründung an die 30 Wiener Bürgerinitiativen angehören, hinter denen bald so viele Menschen stehen, als in dieser Stadt für die regierende Mehrheitspartei votiert haben. Sie werden zwar immer noch gerne von der Parteipolitik ignoriert, aber sie wissen die Zukunft der Demokratie auf ihrer Seite. Die Parteiendemokratie braucht die Ergänzung durch eine funktionierende Bürgerbeteiligung, welche für mehr Transparenz und für eine unabhängigere Medienlandschaft sorgen könnte. Dr. Helmut Hofmann 1030 Wien Henslerstraße 3/7b Obmann von Aktion21 - pro Bürgerbeteiligung [ zurück ]
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