Giftspritzen
Dienstag, 27. März 2012
Herr Wolfgang Müller-Funk, seines Zeichens Univ. Doz. am Institut für Germanistik der Universität Wien, hat im Standard vom 29.12.2011 seine demokratiepolitische Skepsis gegenüber Plebisziten dargelegt. Das wäre durchaus legitim, wäre sie durch Authentizität untermauert worden. Das, was uns da aufgetischt wurde, schmeckt allerdings sehr nach vorgefasster, auf äußerst subjektiver Wahrnehmung beruhender Meinung und ist damit – bewusst oder unbewusst – jenes Gift, das die Demokratie im Interesse ihrer geheimen Feinde wenn schon nicht umbringen, so zumindest schwächen sollte. Gift verlangt nach Gegengift – voilà.Christian Felber hat darauf bereits geantwortet. Die Antwort wurde im Standard nur gekürzt veröffentlicht. Es beschleicht einen dabei das dumpfe Gefühl, das Gift könnte bereits da und dort Wirkung gezeigt haben. Um ein solches Schicksal zu vermeiden, erfolgt die Stellungnahme von Aktion 21 – ungekürzt – an dieser Stelle. Da schreibt Müller-Funk etwa: „Abgesehen von der fragwürdigen Lobpreisung der Wut als eines "authentischen" Gefühls, mündet sie in eine sehr schlichte, von den Medien verstärkte Gegenüberstellung von gutem Bürger und böser Politik.“Offenbar betrachtet Mülller-Funk das Volk als einen Kampfhund, dessen Wut man erregt, damit er, der Gute, die böse Politik beißt. Abgesehen davon, dass ein Germanist sich der mehrfachen Bedeutung des Begriffs „Politik“ bewusst sein und daher Zweideutigkeiten tunlichst vermeiden sollte – meint er mit „Politik“ das „garstig Lied“ des Dr. Faust oder vielleicht doch eher (die) Politiker? – verkennt er völlig Ursache und Wirkung. Es bedarf keiner Verhetzung, um die Bürger wütend zu machen. Dazu genügt schon ein nüchterner Befund über jene Politiker, die vom Volk nicht gewählt wurden, um von ihnen belogen und betrogen zu werden. Oder soll der Bürger etwa das Maul halten, wenn ihm ein Minister noch vor einem Jahr treuherzig versichert, dass (für Griechenland) übernommene Garantien nicht schlagend werden würden und nun völlig gelassen und selbstverständlich davon spricht, dass da etliche Milliarden als verloren zu verbuchen wären? Glaubt Herr Müller-Funk wirklich, die Menschen seien so blöd, nicht zu erkennen, dass sie und nicht die Politiker, die dafür gerade stehen müssten, zur Kasse gebeten würden? Herr Müller-Funk hat einiges verschlafen, wenn er von der Nobilitierung des "Wutbürgers" spricht. Hessel ist da schon weiter: er hat längst erkannt, dass die Bürger es nicht bei der Wut bewenden lassen und eine Änderung dessen, worüber sie mit Recht wütend sind, begehren. Sie wollen zum Beispiel eine umfassende Auskunftspflicht der Beamtenschaft ohne Wenn und Aber, ein wirksames Antikorruptionsgesetz, eine transparente Parteienfinanzierung und eine sinnvolle Verwendung der von ihnen via Steuern abverlangten finanziellen Mittel. Mehr zynisch als unbedacht wirken Äußerungen, wonach westliche Demokratien sich einer ausgewogenen Machtbalance zwischen Regierung, Gesetzgebung und Judikative verdankten, der räumlichen und zeitlichen Beschränkung von Macht, einem Menschenrechtskanon sowie - ganz wichtig - klaren Verantwortlichkeiten. Gerade letztere sind es, die viele westliche Demokratien so schmerzlich vermissen. An Stelle des seinen Wählern verantwortlichen Mandatars sind einige wenige Parteien getreten, Oligarchen auf Zeit, die noch dazu – wie in Österreich – den Zeitraum ihrer unbeschränkten Machtausübung nach eigenem Gutdünken verlängern, ohne dass ihnen dabei jemand in den Arm fallen kann. Solche Mandatare sind nicht etwa ihren Wählern, sondern einzig und alleine ihren Parteien verantwortlich, und in der Praxis stellt sich zudem die Frage, ob die Organe der Verwaltung bis hin zur Bundesregierung dem Parlament und der Gerichtsbarkeit verantwortlich sein können, wenn auch diese nach der Parteipfeife tanzen und einzig und allein die Parteiführungen das Sagen haben. Müller-Funk meint, historische Beispiele für die Perversion der direkten Demokratie gebe es einige. Natürlich kann auch direkte Demokratie zur Farce verkommen, wie das ja auch bei Wahlen hier und da vorzukommen pflegt. Es sind aber stets die gewählten Volksvertreter, die einen solchen Missbrauch direktdemokratischer Einrichtungen anzetteln, von der Zwentendorf-Abstimmung angefangen über die Häupl-Befragungen bis zu dem neuesten Streich der Koppelung der „no na-Frage“ zur längst fälligen Neugestaltung des Viertels westlich der Kärntner Straße mit der gut versteckten gleichzeitigen Zustimmung zu einer Garage, die vor wenigen Jahren von der betroffenen Bevölkerung mit großer Mehrheit abgelehnt worden war. Missbrauch einer Institution ist aber kein Beleg für deren Sinnlosigkeit. und das, was Müller-Funk als Abschieben von Verantwortung an das Volk bezeichnet, ist ja gerade das Gegenteil von verantwortungsbewusstem Handeln, das er in einer nicht nachvollziehbaren Gedankenvolte den vom Volk Gewählten vorbehalten und den Wählern absprechen möchte. Sätze wie „Die Qualität einer demokratischen Gesellschaft bemisst sich nicht nach der Anzahl von Plebisziten und Umfragen. Demokratie ist keine permanente Abstimmungsmaschinerie. Partizipation lässt sich dort praktizieren, wo die Bürgerschaft selbst einen Teil der Verantwortung übernehmen kann und will, etwa im überschaubaren Bereich eines Bezirks oder einer Gemeinde.“ stellen zudem keine Neuigkeiten dar. Sie gehören zum politologischen ABC der Partizipation und werden nur für jene zum Aha-Erlebnis, die von dieser Form der Demokratie herzlich wenig Ahnung haben. Den Vogel schießt Müller-Funk mit dem Satz ab: „Wenn wir wütend sind über die Inkompetenz und die Ignoranz der regierenden Parteien, sollten wir das als Wähler kundtun. Aus der Verantwortung sollten wir sie aber nicht entlassen, weil sonst kleine oder große Demagogen an die Macht kommen, die ihrem Wesen nach verantwortungslos sind. Ob die Einführung obligatorischer Plebiszite zur Überwindung der gegenwärtigen Krise beitragen würde, möchte ich daher bestreiten.“ Die Erklärung, wie man die Wut als Wähler wirksam kundtut, bleibt und Herr Müller-Funk schuldig. Wahrscheinlich meint er, Wahlen könnten am Oligarchensystem der Parteien etwas ändern. Ein Standard-Poster hat das so schön ausgedrückt: „Wenn Wahlen etwas verändern könnten, wären sie längst abgeschafft.“ Ebenso warten wir geduldig darauf, wie Herr Müller-Funk die Verantwortung, die seiner Meinung nach die Bürger nicht für ihre Entscheidung tragen können, den Mandataren aufhalsen will. Die denken ja gar nicht daran, sie zu übernehmen, und zwingen kann man sie auch nicht. Da wird Verantwortung zur reinen Worthülse, die etwas vorgaukeln soll, was im Ernstfall platzt wie eine Seifenblase. Aus all dem Gedankenkauderwelsch den kühnen Schluss zu ziehen, dass obligatorische Plebiszite nichts zur Überwindung der gegenwärtigen Krise beitragen könnten, bezieht seine Richtigkeit nur aus dem Umstand, dass auch Plebiszite (viel) zu spät kommen können. Wenn das Kind bereits tief im Brunnen liegt, kann man es vor dem Hineinfallen natürlich nicht mehr retten. Das spricht aber weniger gegen einen Schutz vorm Hineinfallen als gegen jene, die es hineingestoßen haben. Vielleicht sollte sich der Herr Univ. Doz. am Institut für Germanistik doch lieber seiner eigentlichen Aufgabe widmen, statt in einem Beitrag über etwas ihm Suspektes und Fremdes seine sprachreformatorischen Intentionen durch eine neue Grammatik - „dass diese Kampagnen die NSDAP ... machte“ (sic!) zum Ausdruck zu bringen. H. Hofmann Aufgeschnappt Beitrag [ zurück ]
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