Drüberfahren und Draufsetzen
Freitag, 31. Dezember 2010
Das Verhältnis der Obrigkeit zu initiativen Bürgerinnen und Bürgern ist von der Tendenz zum „Drüberfahren“ geprägt. Der Diskurs mit dem Wähler ist für diese Obrigkeit reine Zeitvergeudung. Rasche Entscheidungen schneiden ihn ab und schaffen vollendete Tatsachen. Noch infamer aber ist das Spiel mit dem „Draufsetzen“. Kaum hat eine Bürgerinitiative starken Zulauf, steht schon mindestens eine politische Partei parat, um sich mit ihr zu solidarisieren und sie damit der parteipolitischen Punzierung auszusetzen. Am Beispiel Wien Mitte Als im Oktober 1999 die Pläne für einen sechstürmigen Monsterbau zu Wien Mitte öffentlich bekannt wurden, bildete sich innerhalb weniger Wochen eine beachtliche Bürgerbewegung gegen das gigantomanische Projekt. Spätestens nach einer Präsentationsveranstaltung Anfang Dezember 1999 war klar, dass der öffentliche Widerstand beachtlich und damit die Gefährdung des Projekts beträchtlich sein würde. Selbst Politiker der damals stadtregierenden SPÖ und ÖVP, unter ihnen ein Ex-Bezirksvorsteher, traten ungeachtet der persönlichen Folgen öffentlich gegen das Lieblingsprojekt des Bürgermeisters auf. Die Opposition witterte Morgenluft, allen voran die FPÖ, die vehement gegen Hochhäuser im Bereich innerhalb des Gürtels auftrat. Sie unterstützte die Bürgerinitiative indirekt durch Übernahme der Argumente, durch ihre – dank ihrer Mittel - stärkere Medienpräsenz und durch ihre Minderheitenrechte, mit denen sie eine Bürgerversammlung im Bezirk erzwingen konnte. Bald zogen auch die Grünen nach, obgleich sie an der Oberfläche eher unauffällig operierten. Hatten sie doch zunächst nichts gegen das Projekt einzuwenden gehabt, weil ihr Credo eher Verdichtung im innerstädtischen Bereich als Zersiedelung an der Peripherie lautete. Erst nachdem sie wahrgenommen hatten, dass sich die Bürgerproteste auch gegen die übermäßige Dimension des Projektes richteten, begannen sie, diese zu unterstützen. Wenn Sachargumente fehlen Die Betreiber von Wien Mitte, ihr Protektor Dr. Häupl und damit selbstverständliche alle involvierten Funktionäre der SPÖ, insbesondere jener des 3. Bezirks, hatten den Argumenten der Bürgerinitiative wenig entgegen zu setzen. In mehreren öffentlichen Diskussionen wurde mantraartig wiederholt, „der Schandfleck müsse beseitigt werden“, das Projekt „werde die öffentliche Hand keinen Schilling kosten“, die Hochhäuser müssten gebaut werden, „weil es sich sonst nicht rechne“ und „das Projekt schaffe hunderte Arbeitsplätze“. Es war damals schon einfach, gegen so abgelutschte Trivialitäten mit sachlichen Einwänden und Alternativen zu argumentieren. So war es auch kein Wunder, dass sich die oppositionellen Parteien, vor allem H.C. Strache für die FPÖ, dieser besseren Argumente bedienten, um die damalige Wiener SPÖ-ÖVP-Koalition und die spätere SPÖ-Alleinregierung zu bedrängen. Unterstützung ohne Gegenleistung Mehrere zur Bürgerinitiative zählende Anrainer sahen gute rechtliche Chancen, Rechtsmängel des Projektes gerichtlich zu bekämpfen. Allerdings sah sich die Bürgerinitiative außerstande, solche Gerichtsverfahren zu finanzieren und das Kostenrisiko im Falle von Abweisungen zu tragen. Sie nahmen diesbezügliche Hilfe gerne an. Die Grenzen dieser Unterstützung wurden offenbar, als sich die FPÖ bereit erklärte, die Finanzierung einer Großveranstaltung zu übernehmen, wenn diese als Parteiveranstaltung deklariert werden würde. Das Risiko, dabei als Steigbügelhalter einer politischen Partei angeprangert zu werden, stand dem Selbstverständnis einer überparteilichen Bürgerinitiative im Wege. Nichtsdestoweniger attestierte dem Verfasser dieses Textes ein hochrangiger Bezirkspolitiker schriftlich „eine bedenkliche Nähe zur FPÖ“, über welche Unterstellung ich aus heutiger Sicht nach all dem, was sich rund um die Schließung der Landstraßer Markthalle ereignet hat, nur schmunzeln kann. Unverlässlichkeit politischer Parteien Aufs „Draufsetzen“ folgt irgendwann auch das „Stehenlassen“. Meistens geschieht das ohne viel Aufhebens und schleichend. Im Fall Wien Mitte hatte es eine besondere Facette. Es ging um das heute „Justizturm“ genannten Hochhaus, das gesondert vom übrigen Projekt Wien Mitte von der PORR-Tochter UBM errichtet werden sollte. In einem über SPÖ- und ÖVP-nahe Institutionen eingefädelten Deal wurde der „Turm“ über den zur Zeit in anderem Zusammenhang zu medialer Bekanntheit gelangten Immobilienvermittler Plech dem damaligen Justizminister Böhmdorfer angeboten. Dieser war bei dem Versuch, einige Gerichte im Neubau auf dem Rennweg unterzubringen, auf massiven Widerstand der Richterschaft gestoßen. Nun gab es zu Wien Mitte ein in jeder Hinsicht attraktiveres Angebot. Der blaue Justizminister schlug zu, ermöglichte mit einem auf 40 Jahre abgeschlossenen Mietvertrag die komplette Nutzung des für Büros konzipierten Gebäudes zu einer für die Errichterfirma attraktiven Entgelt und strafte damit die von den SPÖVP-Politikern verbreitete Mär, der Bau werde ausschließlich aus privaten Mitteln finanziert, Lügen. Das Ganze wurde hinter dem Rücken der Wiener Parteikollegen eingefädelt, deren medialer Kampf gegen die Hochhäuser zu Wien Mitte damit den entscheidenden Dolchstoß erhielt. Hätte die Bürgerinitiative auf die FPÖ gesetzt, wäre es vermutlich nicht gelungen, die internationale öffentliche Meinung auf das prekäre Projekt aufmerksam zu machen und damit letzten Endes seine Verwirklichung in der viertürmigen Konzeption hintanzuhalten. Frontenwechsel? Einige Jahre später kam es im Zusammenhang mit der Entwicklung der Immobilie Wien Mitte zur handstreichartigen Schließung der angrenzenden Landstraßer Markthalle. Eine der größten Bürgerinitiativen Wiens, bestehend aus tausenden Kunden und natürlich auch den meisten Standlern, protestierte dagegen. Über 12.000 identifizierbare Unterschriften bewegten zunächst sämtliche Oppositionsparteien des Wiener Gemeinderates, gemeinsam gegen diese mutwillige Attacke gegen die Lebensmittelversorgung großer Teile Wiens aufzutreten, sehr zum Ärger des Bürgermeisters und der Bezirks-SPÖ, die sich von dieser Entwicklung ebenfalls überrumpelt zeigte. Ein Desaster durch Überstimmung in der Bezirksvertretung, in der die SPÖ keine absolute Mehrheit hat, musste um jeden Preis vermieden werden. Wie hoch dieser war, um die FPÖ-Mannschaft, die wenige Tage zuvor noch gemeinsam mit der Bürgerinitiative und Vertretern von ÖVP, GRÜNEN und KPÖ vor der Markthalle öffentlichkeitswirksam demonstriert hatte, zur politischen Kehrtwende zu veranlassen, ist ein Geheimnis geblieben. Grundlos werden die Blauen das wohl nicht gemacht haben... Parteiwohl geht vor Gemeinwohl Die Groteske war allerdings eine andere. Man konnte die Bürgerinitiative nun nicht mehr gut „in eine bedenkliche Nähe der FPÖ“ rücken, in die sich die SPÖ-Genossen solcherart selbst manövriert hatten. Ein anderes Szenario musste herhalten, um die mit der Bürgerinitiative identische Lokale Agendagruppe „Wien Mitte“ auszuschalten - mit der Begründung, dass sie sich von politischen Parteien – diesmal war es die böse ÖVP - instrumentalisieren ließ. Der Aberwitz dabei: ausgerechnet mit jener ÖVP, die 2000 gemeinsam mit der SPÖ mit dem Projekt Wien Mitte über die Bürger drübergefahren ist und durch namhafte Repräsentanten heute noch verlauten lässt, dies sei zur Beseitigung des Schandflecks notwendig gewesen, liegt die Bürgerinitiative heute noch in heftigem Wien Mitte-Clinch. Nicht anders mit den GRÜNEN: einer ihrer Funktionäre hatte Dutzende Anrainer ein halbes Jahr jenem nächtlichen Lärmterror ausgesetzt bei dem die Bevölkerung von allen politischen Couleurs schmählich im Stich gelassen wurde, vermutlich, weil er bis in die Schlafzimmer ihrer „höheren Tiere“ trotz 70 dB und darüber nicht durchgedrungen ist. Der Bürger nimmt zur Kenntnis, dass im entscheidenden Moment das Parteiwohl dem Gemeinwohl vorgeht, auch wenn die großen Töne, die gespuckt werden, anders lauten. Die wichtigste Lehre aus all den Begebenheiten um Wien Mitte aber heißt: wenn es um die Lebensqualität und um die berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger geht, dann verlässt man sich am besten aufeinander und nicht auf irgendeine parteipolitische Gruppierung. Bei denen hat der Bürger nämlich immer die schlechteren Karten. Wer den oft weltanschaulich verbrämten Schalmeitönen auf den Leim geht, läuft stets Gefahr, verraten und verkauft zu werden, selbst unmittelbar vor Wahlen und erst recht danach. Denunzieren – ein Ritual Je unangenehmer manchen politischen Parteien das Anliegen einer Bürgerinitiative ist, desto mehr bemüht sie sich, sie in irgend ein parteipolitisches Eck zu stellen und zu behaupten, es handle sich nicht um den Wunsch einer größeren Zahl von parteiunabhängigen Bürgern, sondern um das Anliegen einer bestimmten politischen Partei. Dieses Bemühen ist sozusagen zum Ritual erstarrt, wobei es nur darum geht, möglichst reflexartig irgendeinen politischen Konkurrenten zu nominieren, dem man diese Bürgerinitiative vermeint in die Schuhe schieben zu können. Das Infame daran ist, dass sich eine Bürgerinitiative kaum dagegen wehren kann, dass politische Parteien jedweder Größe über beträchtlich mehr Mittel verfügen, um die Medien mit solchen Denunziationen zu bombardieren und sie unkritisch nachbeten zu lassen, was man ihnen mundgerecht vorgekaut hat. Dass durch eine solche Vorgangsweise keine Sympathien erworben werden und im Gegenteil die Bürgerwut über die politische Klasse noch gesteigert wird, sehen nur ganz Bornierte noch nicht. Irgendwann werden auch ihre Augen geöffnet werden. Helmut Hofmann [ zurück ]
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