Die Presse Artikel vom 6. Juni 2010
Herta Wessely: Grande Dame des Bürgerprotests
Sonntag, 6. Juni 2010
Herta Wessely: Grande Dame des BürgerprotestsVor 20 Jahren hat Herta Wessely das erste Mal aufbegehrt. Heute berät sie mehr als 40 Wiener Bürgerinitiativen im Kampf gegen Garagen und die Pläne "von oben". Wer Herta Wessely zu Hause besuchen möchte, kann sie eigentlich gar nicht verfehlen. Mitten in einer dicht bebauten Häuserzeile in Wien Margareten erkennt man die Nummer 29 – an den Bäumen. Vögel zwitschern, auf den gepflegten Bänken sitzen ein paar Jugendliche. Das Haus, ein schöner, denkmalgeschützter Bau aus dem Jahr 1871, liegt weit dahinter. 20 Jahre ist es her, dass dieser Garten – Wesselys Kinder waren gerade aus dem Haus, alles war perfekt – zugebaut werden sollte. Herta Wessely nahm einen Tisch, einen Sessel, setzte sich ans Gartentor und sammelte zwei Monate lang Unterschriften gegen das Vorhaben. Am Ende gab die Stadt nach, der Garten blieb. Dort fotografieren lässt sich Wessely dennoch nur mit Vorbehalt, lieber wäre es ihr vor der Bücherwand in ihrem Wohnzimmer. die Bürger hören - weil es mehr Proteste geben wird. „Wir werden ohnehin immer ins grüne Eck gestellt“, klagt sie. „Als ob wir um jeden Baum kämpfen würden.“ Dabei seien es ganz andere Themen, die den Ärger der Bürger provozieren. Zu viel Verkehr, zu hohe Gebäude, Denkmalschutz, der zu wenig berücksichtigt wird. Und, gerade wieder einmal, Garagen, bei denen es „weniger um den Bedarf als ums Geld geht“. Campen im Bacherpark. Mit Garagen hat Wessely Erfahrung. Eigentlich hätte sie ja zufrieden sein können mit der Rettung ihres Gartens. Aber die Sache ließ sie nicht los, und als 2006 im Bacherpark in Margareten eine Tiefgarage errichtet werden sollte, war sie wieder mit dabei. Drei Monate besetzten die Aktivisten den kleinen Park, im bitterkalten Winter campierten sie mitten in Österreichs dichtest besiedeltem Bezirk. Dann gab es eine Mediation und „endlich Gespräche auf Augenhöhe“: Ergebnis war eine Befragung der Anrainer, die sich gegen das Projekt entschieden. Nun spätestens hätte sich Wessely zurücklehnen können. Immerhin wird sie heuer 70. Sie könnte gemütlich in ihrem Garten sitzen, der mittlerweile zum öffentlichen „Ruhe- und Sinnesgarten“ geworden ist, Politikstudenten Interviews geben und ansonsten dort das Treiben beobachten: Der Minipark zwischen den Häusern ist „vielleicht Wiens einziger Säuglingspark“: Es gibt keine Hunde, keine Spielgeräte, dafür kommen Eltern mit Decken und setzen ihre Babys ins Gras. In der Mittagspause kommen Leute mit ihrer Jause, dazu Jugendliche. Und natürlich ältere Menschen, die die Ruhe genießen. Protest-Plattform. Herta Wessely hat sich stattdessen für einen ehrenamtlichen Fulltimejob entschieden. 2006 hat sie den Verein „Aktion 21“ mitbegründet, seit 2008 ist sie dessen Obfrau. Die Plattform vernetzt derzeit 42 aktive Bürgerinitiativen und entstand durchaus aus Protest: Die Initiativen hatten eine Reform der sogenannten „Lokalen Agenda 21“ gefordert, die Stadt hatte das Anliegen verweigert. Für Wessely ist dieses internationale Handlungsprogramm, das nicht zuletzt durch Bürgermitbestimmung eine nachhaltige Entwicklung der Gemeinden fördern will, ohnehin ein Reizthema – zumindest in seiner Umsetzung durch die Stadt Wien. Weil der Ruhe- und Sinnesgarten vor ihrem Haus unter diesem Label entwickelt wurde, kenne sie das Programm von innen. „Echte Probleme“, meint sie und steckt sich eine neue Zigarette an, „werden dort nicht behandelt.“ In Margareten seien mit der Lokalen Agenda neben dem Garten kaum mehr als ein paar Nistkästen und eine „Kunstwäscheleine“ umgesetzt worden, zitiert sie ironisch ihre Lieblingsbeispiele. Wer mitmachen dürfe und wer nicht, werde politisch entschieden. „Und für Bürgerinitiativen, hieß es, sei kein Platz. Bürgerinitiativen seien Verhinderer.“ Dabei wollen Wessely und ihre Mitstreiter gerade nicht als Verhinderer und Querulanten gelten – auch wenn sie, objektiv gesehen, ziemlich oft gegen etwas sind. Lieber möchten sie sich als „Gestalter“ sehen und „konstruktiv mitarbeiten“. Die Leute, meint Wessely, seien gar nicht politikverdrossen. „Sie sind nur politikerverdrossen.“ Sie selbst sei in Bezirksversammlungen „entsetzt“ gewesen: „Da gibt es Bezirksräte, die gar keine Zeit haben, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Und die entscheiden dann über Projekte, von denen sie keine Ahnung haben.“ Weshalb sie, trotz repräsentativer Demokratie, durchaus für Kontrolle durch die Bürger plädiert. Immerhin hätten die schon viel Schlimmes verhindert: Einst die Rodung von Teilen des Wienerwaldes, später den Abriss des Naschmarkts oder des Spittelbergs. „Die da oben machen eh nur, was sie wollen“, das ist für Wessely jedenfalls kein Argument: „Man muss es wenigstens versuchen.“ Vor allem ihren drei Enkeln will sie ein Beispiel geben. „Kritisch sein, hinterfragen, das Gefühl haben, dass man sich einmischen kann und nicht alles akzeptieren muss.“ Längst hat sie die Leidenschaft gepackt, längst kann sie gar nicht mehr aufhören. Trommeln. Wo immer eine neue Bürgerinitiative Hilfe braucht, steht sie bereit: Anliegen formulieren, Flugblatt entwerfen, Treffen einberufen, Aktionen planen, einen Sprecher nominieren, Kontakt zur Presse aufnehmen, viel „Trommeln“: Was sie sich mühsam erarbeitet hat, gibt sie heute anderen weiter. Und sie ist überzeugt: „In Zukunft wird man mehr auf die Bürger hören, einfach weil es mehr Proteste geben wird.“ Ein ganz wichtiger Punkt seien übrigens Unterschriften. Nicht, weil eine große Anzahl von Unterschriften wirklich Bedeutung hätte. „Aber weil man mit den Leuten ins Gespräch kommt.“
( Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010 von TERESA SCHAUR-WÜNSCH ) Direkt zum Onlineartikel -- Klick hier Dateien zu diesem Thema
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