Sonntag, 30. August 2009
"Ihr optimiert die falschen Dinge" Österreich macht den Umweltschutz besonders gründlich falsch, sagt der Verfahrenstechniker Michael Braungart zu Johanna Ruzicka. Produkte sollten in einem Endlos-Kreislauf verwendbar sein. Standard: Sie werden nächste Woche beim Sustainable World Congress in Grafenegg vortragen. Was halten Sie von der österreichischen Klima- und Umweltschutzpolitik? Braungart: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Standard: Bitte? Braungart: Ich meine: Da werden die falschen Dinge optimiert und damit besonders gründlich falsch gemacht. Standard: Sie sehen also unsere Klimaschutzbemühungen, bei denen man sich etwa um eine höhere Energieeffizienz oder um sparsameren Energieeinsatz bemüht, als wenig zielführend an? Braungart: Es gibt kein Klimawandelproblem, sondern es gibt ein Treibhausgasproblem. Wenn man zum Beispiel - wie in Österreich besonders gerne praktiziert - Mais anbaut, um dann daraus Biogas und Biodiesel herzustellen, verliert man enorme Mengen an Humusboden. Jetzt sind aber zwei Drittel des gesamten Kohlenstoffs im Humusboden gespeichert. Wenn man den Boden mit exzessiven Monokulturen - wie beim Maisanbau - zerstört, ist die Gewinnung von Biogas und Biodiesel aus Mais aus Umwelt- und Klimaschutz-Gesichtspunkten der falsche Weg. Die CO2-Einsparungen, die mit dem Mais-Sprit dann erzielt werden können, kann man im Vergleich zu den Bodenzerstörungen vergessen. Standard: Der Biolandbau argumentiert ähnlich. Braungart: Ja, da werden tolle Sachen gemacht. Aber es gibt kein "bio", wo menschliche Stoffwechselprodukte dabei sind. Das wäre aber wichtig wegen des Phosphors, das noch viel seltener ist als Öl, um dessen Bestände wir uns große Sorgen machen. In Österreich wird der Gärschlamm verbrannt; das Phosphor, das da drin ist, ist unwiderbringlich weg. Standard: Na ja. Gülle auf die Felder aufzubringen macht man aus Krankheitsgründen nicht. Braungart: Mittlerweile kennt man die Krankheitserreger. Das war früher einmal ein richtiges Argument. Was ich mit dem Beispiel sagen will ist Folgendes: In Österreich versucht man möglichst wenig (umwelt-)schädlich zu sein. Damit aber optimiert ihr nur die falschen Dinge. Ihr macht die falschen Dinge sozusagen besonders gründlich falsch. Standard: Normalerweise lautet der Vorwurf, dass wir behübschen. Braungart: Ihr behübscht auch das Falsche - zum Beispiel die von Hundertwasser verschönerte Müllverbrennungsanlage. Niemand denkt darüber nach, dass der Müll dort nicht brennen würde, wenn man nicht wertvolle Stoffe - Papier, Kunststoff - dazumischen würde. Und das wird dann als CO2-Einsparung gerechnet, obwohl das Papier und der Kunststoff jetzt neu hergestellt werden müssen! Standard: Das heißt, Müllverbrennung ist schlecht? Braungart: Für Deutschland haben wir errechnet, dass in den Schlacken von den Müllverbrennungsanlagen jährlich Kupfer im Wert von 100 Mio. Euro steckt. Dieses Kupfer ist für immer weg - und das, obwohl Kupfer viel seltener als Erdöl ist. Standard: Von einer Nachhaltigkeit, in dem Sinne, dass wir Rohstoffe bewusster einsetzen, sind wir alle weit entfernt. Braungart: Ja. In einem gewöhnlichen Mobiltelefon stecken die Metalle des ganzen Periodensystems. In einem Fernseher stecken 4360 verschiedene Chemikalien. Nutzt es etwas, wenn da der Einsatz von Blei verboten wird, wie es die EU durchgesetzt hat? Nein! Die restlichen 4359 Stoffe bleiben ja drinnen. Standard: Da kommt Ihr Cradle-to- Cradle-Konzept ins Spiel, was "von der Wiege zur Wiege" bedeutet? Braungart: Wir können, ja: Wir müssen alles neu erfinden, sodass es nützlich ist und nicht schädlich. Unsere Produkte müssen sich quasi endlos in Kreisläufe eingliedern lassen. Entweder in biologische Kreisläufe wie Zersetzung und Kompostierung oder in technische Kreisläufe, also Rückgabe, Demontage, Wiederverwertung. Standard: Wie hat man sich das vorzustellen? Braungart: Zum Beispiel muss man Gebäude wie Bäume konzipieren, die die Luft reinigen. Nicht "energieneutral", wie das jetzt Österreich macht. Energieneutral kann man gar nicht sein. Sobald man atmet, ist man schon nicht mehr energieneutral. Denken braucht ja auch Energie. ZUR PERSON: Michael Braungart ist Professor für Verfahrenstechnik an der Universität Lüneburg und Mitbegründer des Hamburger Umweltinstituts. Das Institut sucht nach Produkt-Optimierung innerhalb der Cradle-to-Cradle-Konzeption. Braungart wird dieses Konzept im Rahmen des Sustainable World Congress, der vom 23. bis 24. Juli 2009 auf Schloss Grafenegg, stattfindet, vorstellen. Michael Braungart: Produkte, die nicht kompostierbar sind, sollen so gestaltet werden, dass sie recycelt werden können. Foto: Braungart ----------------------------------------------- Eine sehr wertvolle Leküre wäre: "Zukunft verbrennen? Von der Abfallverbrennung hin zur Wertschöpfung nach Cradle to Cradle". Das Buch ist auch als pdf im Internet herunterladbar und unter folgender Adresse zu finden: http://www2.ask-eu.de/default.asp?Menue=150&ShowArtikel=127 Dateien zu diesem Thema
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