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Luegerplatzgarage:
Ein Tiefschlag gegen die Demokratie


Mittwoch, 3. Juni 2009

Die Maske ist gefallen. Der 1. Bezirk hatte einhellig eine Befragung der Bevölkerung über die unter dem Luegerplatz geplante Garage beschlossen. Wer nach den Ereignissen der letzten Wochen noch an so etwas wie eine faire, demokratische Willensbildung geglaubt hat, sollte es jetzt besser wissen. Es wäre für die Demokratie besser gewesen, die Mehrheit hätte ohne wenn und aber, ohne Rücksicht auf die Wählerinnen und Wähler, den Garagenbau ohne Befragung beschlossen. Befragungen mit reinem Alibicharakter sind nämlich aus faschistoiden Regimen sattsam bekannt.

Die belegbaren Daten und Fakten sprechen eine nur allzu deutliche Sprache:

Bürgerbeteiligung als Farce

Was unter dem Titel „Bürgerbeteiligung“ begonnen hatte, ist zur reinen Farce verkommen. Am Beginn standen Gespräche, bei denen der Garagenbetreiber, heftig unterstützt vom Garagenkoordinator der Stadt Wien und den beiden Moderatorinnen, anhand von Gutachten versucht hatte, die Einwände der Bürgerinitiative zu zerstreuen. Diese lauteten, auf einen kurzen Nenner gebracht: das prächtige Naturdenkmal, die Platane, sei durch den Bau, für den kein Bedarf bestehe, in ihrem Bestand gefährdet.

Fragwürdige Gutachten zur Platane

Der Erstgutachter verstieg sich zur Behauptung, die ursprünglich geplante Garage schade dem Baum nicht nur nicht, sondern bringe ihm sogar noch Vorteile. Nachdem die Bürgerinitiative diese unhaltbare Ansicht mit Hilfe der international anerkannten Wurzelexpertin Univ.Prof. Kutschera und ihrer Nachfolgerin Univ.Prof. Sobotik widerlegen konnte, bestellte der Garagenbetreiber einen zweiten Gutachter, der zu dem Ergebnis kam, die Wurzeln der Platane würden durch die inzwischen zweimal von ihr abgerückte Garage nicht beeinträchtigt. Da Umweltanwaltschaft und Bürgerinitiative auf einer weiteren Grabung bestanden, wurde ein dritter Gutachter bestellt. Dieser ging in seinem Gutachten, nachdem die Grabung die Aussagen des Zweitgutachters eindeutig widerlegt hatte, von einem Garagenbau an einer Stelle aus, die zwar noch weiter von der Platane abgerückt ist, an der sich aber immer noch Wurzeln befinden. Er beschränkte die Gefahr für die Platane auf „ein vertretbares Restrisiko“, falls eine Reihe von vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung des Baumes getroffen würden. Wie groß dieses Restrisiko wirklich ist, hat Frau Prof. Sobotik mit ihrer unwidersprochenen Aussage auf den Punkt gebracht: „Ich kann mir vorstellen, dass unten Wurzeln sind, die zur Wasserversorgung beitragen können. Ich kenne die Bedingungen in der Tiefe nicht. 50:50 halte ich es für möglich.“
Fazit: ohne die heftigen Proteste der Bürgerinitiative wäre die Garage vermutlich längst gebaut worden, und zwar unter der Platane. Die Antwort auf die Frage, ob diese noch gesund oder bereits auf dem Absterbeetat wäre, bleibt uns dadurch erspart.

Fragwürdiger Bedarf

Durch Monate hindurch hat die Bürgerinitiative zu allen Tages- und Nachtzeiten erhoben, wie viele Plätze in den umliegenden Garagen als frei angeboten werden. Ergebnis: das Angebot ist selbst zu Spitzenzeiten dreistellig. Demgegenüber behauptet der Garagenkoordinator, dass die Garagen zu Spitzenzeiten voll ausgelastet seien. Er argumentiert dies mit der Zahl der abgeschlossenen Verträge für Dauerparker und übergeht geflissentlich, dass kluge elektronische Systeme mit der Wahrscheinlichkeit operieren, wann wie viele Dauermieter die Garage benützen würden, und de facto freie Plätze auch dann anbieten, wenn sie zwar vermietet, aber vom Mieter nicht belegt sind. Bedarf an zusätzlichen Plätzen besteht aber nur dann, wenn Stellplatz suchende Kraftfahrzeuge keinen freien Stellplatz vorfinden: das kann mit noch so spitzfindigen Begründungen nicht weggeredet werden. Weil jede Bedarfserhebung zu diesem Ergebnis geführt hätte, wurde sie – trotz gegenteiliger Behauptung des Garagenkoordinators – bis heute nicht durchgeführt. Besonders kritisch ist zu sehen, dass für eine Garage, an der kein Bedarf nachweisbar ist, beträchtliche Mittel von der Stadt Wien und vom Witschaftsförderungsinstitut bereitgestellt werden. (Der WWFF wurde im Jahr 1982 von der Stadt Wien, der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien heute (Bank Austria), der Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG und der Wirtschaftskammer Wien gegründet. Er wird vor allem durch öffentliche Mittel der Stadt Wien sowie EU-Mittel finanziert. Der WWFF ist einer der größten Liegenschaftseigentümer Wiens und finanziert sich teilweise auch über die Veräußerung von Gewerbe- und Industriegrundstücken. Quelle: Wikipedia).

Versprechungen

Im Vorfeld der Bürgerbefragung ist man nervös geworden. Bei mehreren Bürgerversammlungen war eine starke Ablehnung unter der anrainenden Wohnbevölkerung festzustellen. Wie in einem Wahlkampf hagelte es „Zuckerln“: die Garage werde 10 Jahre lang gewissen Dauerkunden zu einem Vorzugstarif angeboten, der Luegerplatz werde umgestaltet, die im Drittgutachten vorgeschlagenen Maßnahmen zur Stärkung der Platane würden erfolgen, der Baum würde keinen Schaden erleiden, der Verkehr vor dem Café Prückel werde „abgefangen“ und dergleichen mehr. Die Frage nach einer Garantie für all diese Zusagen konnte allerdings nicht beantwortet werden. Die am 20.05.09 in öffentlicher Versammlung an den Garagenbetreiber aufgrund seiner Aussage, dies alles werde Inhalt des Genehmigungsbescheides und daher einklagbar sein, gerichtete Frage, wer einen Bescheid „einklagen“ könne, blieb (natürlich) unbeantwortet. Vor demselben Auditorium.

Was man von den „vorgeschlagenen“ und zugesicherten Maßnahmen zur Stärkung der Platane zu halten habe, ging in besagter Versammlung auch durch die Ausführungen des Drittgutachters Univ. Prof. Florin Florineth hervor. Dieser hatte sein Gutachten wortreich vorgestellt, unter anderem Schutzmaßnahmen, die während 3 (in Worten: drei) Vegetationsperioden vor Baubeginn durchgeführt werden sollten. Auf die Frage, von wann bis wann eine „Vegetationsperiode“ zu definieren sei, oszillierte seine Antwort zwischen „Beginn April“, „Ende Juni nur halbe Vegetationsperiode“, „im August in vollem Umfang“ und „10/11/12 (gemeint war 2010, 2011 und 2012) müsste greifen“. Warum wohl konnte (oder durfte?) der Sachverständige nicht klipp und klar sagen: „es handelt sich um 3 volle Vegetationsperioden, die jeweils im April beginnen und bis Oktober dauern? Kaum zu glauben, dass ein Professor der Universität für Bodenkultur keine klare Vorstellung über die Dauer einer Vegetationsperiode einer von ihm untersuchten Platane haben könnte. Ein Schelm, der schlecht darüber denkt.
Natürlich ist es für einen Garagenbauer nicht angenehm, mit den Bauarbeiten bis in den Spätherbst 2012 zuzuwarten., . Er müsste zunächst umfangreiche Maßnahmen, u.a. die Beseitigung des Asphalts und die Installation eines entsprechenden Belags, ergreifen und finanzieren. Das „vertretbare Restrisiko“ (das, folgt man den Ausführungen von Prof. Sobotik, ohnedies nicht gerade unerheblich wäre) bliebe bestehen.

Demokratiepolitische Unkultur

Für die Modalitäten der Befragung hätte es ein Modell gegeben, auf das sich die Bürgerinitiative Bacherpark mit allen Teilnehmern an der damaligen Mediation, also auch dem Garagenkoordinator, verstanden hatte. Es gab und gibt keinen Grund, von diesem bewährten Modell abzugehen,> es sei denn, man wollte eine Ablehnung der Garage verhindern. Um jeden Preis – auch den der bedenklichen Preisgabe demokratischer Fundamentalgrundsätze, wie

  • jede Wahl, jedes Plebiszit ist geheim.
  • jeder Bürger hat nur eine Stimme.
  • Wählerverzeichnisse müssen kontrollierbar und beeinspruchbar sein.
  • die Anlage von Wählerverzeichnissen obliegt einer eigens dafür kompetenten Wahlbehörde
  • Fragestellungen müssen so erfolgen, dass jede einzelne Frage gesondert mit ja oder nein beantwortet werden kann.

Für die Befragung zur Luegerplatzgarage gilt das alles nicht. Die Stimmzettel sind nummeriert, die Nummern werden erst bei der Auszählung vom Stimmzettel getrennt. Wer sich dabei eine Nummer und das Stimmverhalten merkt, kann anhand der Wählerlisten die Identität des Abstimmenden nachvollziehen. Beim Bacherpark war die volle Anonymität gewährleistet gewesen. Statt einem einzigen Befragtenkreis, den nach der Gemeinderatsordnung im Wählerverzeichnis Eingetragenen, werden vom Garagenkoordinator drei zusätzliche Befragtenkreise bestimmt:

  • Firmeninhaber, die ihren ordentlichen Firmensitz im Befragungsgebiet haben
  • Liegenschaftseigentümer laut Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen
  • Freiberufler, die in Kammern organisiert sind (Rechtsanwälte, Steuerberater., Apotheker, Notare)

Dazu ist anzumerken, dass das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen kein mit den Wählerverzeichnissen vergleichbares Eigentümerverzeichnis kennt und dieses daher von den Garagenbefürwortern unter Ausschluss der Bürgerinitiative angefertigt werden musste.

Das Märchen vom Filter

Auf die Frage, wie Mehrfachstimmen aufgrund von Überschneidungen dieser Befragtenkreise verhindert werden können, antwortete der Garagenkoordinator, dass ein „Filter“ dies ermögliche. Auf das konkrete Funktionieren des Filters angesprochen, erklärte der Garagenkoordinator der Stadt Wien am 20.05.09 in aller Öffentlichkeit: „Ich sehe keinen Grund, den Filter hier allen zu erklären“. Dann kam noch etwas von „sehr vorsichtig aufgebaut“, „wir sind sehr akribisch in die Materie eingegangen“ „wir haben es geschafft bei allen Namen der Eigentümer und Betriebe dass es hier zu keiner Doppelmeldung kommen wird“ „positives Gesprächsklima“ und einer Flut von weiteren Gemeinplätzen, die er an Stelle einer von ihm für unnötig gehaltenen Erklärung über das Auditorium ausgoss.
Nun, der Garagenkoordinator der Stadt Wien hatte darauf insistierenden Vertretern der Bürgerinitiative zwar noch am Vortag die Erklärung und Offenlegung seines „Filters“ für Dienstag, den 26.05.09, also 7 Tage (Pfingsten eingerechnet) vor Versendung der Stimmkuverts (!) versprochen, gehalten hat er das Versprechen jedenfalls nicht, auch nicht in einer weiteren, vor allem zu diesem Zweck für 29.05.09 anberaumten Zusammenkunft. Dort wurde nur die Aussage vom 19.05.09 wiederholt, „die Wahrscheinlichkeit von Mehrfachstimmen sei äußerst gering“, „wie oft, glauben Sie, kommt das vor?“ und wenn es zu Doppelstimmen käme, dann könne es sich höchstens um einige wenige handeln, die seien ohne Einfluss auf das Gesamtergebnis. Und wenn etwa der (anonyme) Vertreter einer Firma, der auch dort wohne, zweimal stimme, dann tue er das jeweils „in einer anderen Rolle“. (Im übrigen könne man, wenn es wirklich knapp werde, dem immer noch nachgehen. Die Antwort, wie man das bewerkstelligen könne, ohne die Anonymität der Stimmabgabe zu verletzen, bleibt ein vom der Garagenkoordinator der Stadt Wien bisher streng gehütetes Geheimnis: denn was vor der Befragung nicht möglich ist, ist es nachher schon gar nicht.

Was ist Manipulation?

Das Befragungsgebiet liegt in einem Umkreis von 300 m, ausgehend vom Luegerdenkmal. Die Wahrscheinlichkeit von Mehrfachstimmen ist bei rund 2480 Personen laut Wählerverzeichnis, rund 850 kammerzugehörigen Unternehmern und Freiberuflern sowie rund 520 Liegenschaftseigentümern beachtlich, zumal sie jeder wirksamen Kontrolle durch Stimmberechtigte entzogen ist. Immerhin handelt es sich um mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zum Gemeinderat, die diesen für die Befragung willkürlich hinzugerechnet werden. Dabei geht man offensichtlich davon aus, dass sich von diesen zusätzlichen Stimmen nach entsprechender „Bearbeitung“ die Mehrheit für die Garage aussprechen würde. Und während bei Wirtschaftskammerwahlen die Wählenden durch eine firmenmäßig gezeichnete Erklärung legitimiert sein müssen, entscheidet bei dem vom Garagenkoordinator wortreich vertretenen Wahlmodus die Posteinlaufstelle, wer bei Unternehmungen den Stimmzettel ausfüllt und einsendet. Damit ist jedem Missbrauch Tür und Tor geöffnet – nachträgliche Reklamation wegen Anonymität unmöglich.
Wenn auch die Absicht offenkundig ist – so schluderhaft mit einem Instrument der direkten Demokratie umzugehen und damit das Tor zur Manipulation weit aufzustoßen ist unverantwortlich. Das trifft alle, die an einer solchen Vorgangsweise beteiligt sind, insbesondere aber jene, die, obwohl selbst nicht neutral, durch derartige Entscheidungen die Kompetenz einer Wahlbehörde arrogieren. Bezirkspolitiker, die dies unwidersprochen hinnehmen, machen sich mitschuldig. Die Bürgerinitiative hat sich erdreistet, gegen eine solche, die demokratischen Grundrechte verletzende Vorgangsweise zu protestieren. Wenn ihr dann im Namen der Bezirksvorsteherin bedeutet wird, sie solle froh sein, dass überhaupt eine Befragung stattfinde, das müsse ja gar nicht sein, dann wirft das nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die sogenannte „Bürgerbeteiligung“, dann irrt sie auch gewaltig. Abgesehen davon, dass Beschlüsse der Bezirksvertretung ohne Wenn und Aber umzusetzen sind, auf ein Diktat von Befragungsmodalitäten, die außerhalb des Verfassungsbogens liegen, noch dazu durch eine ganz und gar nicht neutrale Stelle, können die Bürgerinnen und Bürger verzichten.

Was steht am Ende?

Es geht längst nicht mehr um die Garage. Es geht um Willkür und Diktat rund um eines der Grundrechte der Demokratie, das Plebiszit. Es geht darum, dass hier die Worthülse eines Plebiszits für etwas herhalten muss, das den Grundregeln, die unsere Rechtsordnung für Plebiszite aufgestellt hat, ins Gesicht schlägt. Das ist ein klarer Schritt in Richtung Behördendiktatur und – Willkür. Es ist ein beängstigender Umgang mit Demokratie, von dem wir aus Erfahrung wissen sollten, wohin er führt, wenn man ihm nicht rechtzeitig Einhalt gebietet. Wer den sich öffentlich in provokanten Tiraden äußernden Faschismus anprangert und zu solchem Umgang mit demokratischen Grundrechten schweigt, schreit auf dem falschen Bein Hurra. Nicht die lautstarken Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat, die sofort pariert werden können, sind die größere Gefahr, sondern die schleichende, unbemerkt zunehmende Aushöhlung der Demokratie.

Und der Bürgermeister?

Die Bezirksvorsteherin hat sich in die „neutrale Ecke“ zurückgezogen. Sie hat zwar gemeint, „wir haben uns auf den Gedanken verständigt, es muss nachvollziehbar und nachprüfbar sein“, aber bei diesem frommen Wunsch ist es auch geblieben. Um ihn zu erfüllen, bedarf es mehr als schöner Worte. Das letzte Wort in der Gemeinde liegt allerdings beim Bürgermeister. Er ist jetzt gefordert.
Weiß er, der so oft seine Stimme als Schützer und Bewahrer der Demokratie erhebt, was da in Wien, in „seiner“ Stadt abläuft? Oder schläft die Demokratie hier einen gefährlichen Schlaf, aus dem sie eines Tages als „volksdemokratische“ Diktatur recht unsanft aufgeweckt werden wird?
Wer jetzt noch schweigt, dem werden spätere Generationen die gleiche Frage stellen, die sie jetzt so gerne denen stellen, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zur Aushöhlung demokratischer Grundrechte geschwiegen haben: wo wart ihr, als es galt, den Anfängen zu wehren?




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