AKT!ON 21

Kein Herz für Kinder?


Mittwoch, 27. August 2008

Die Gleichzeitigkeit frappiert: während des Panzersozialismus in der Tschechoslowakei vor 40 Jahren gedacht wird, schlägt er im Nachbarland – mit Baggern statt Panzern – munter zu. Opfer des Niederwalzens ist das „Wiener Vorzeigeprojekt mit Symbolkraft“ (Christian Kühn): die "Stadt des Kindes" in Wien-Penzing. (weiter...)

Was heißt „Stadt des Kindes?“


„Anlässlich des 50. Geburtstags der Republik Österreich im Jahr 1969 beschloss die Stadt Wien, in Penzing, an der Wiener Westeinfahrt, ein Kinderheim zu errichten, wie es die Welt bisher nicht gesehen hatte: keine Bewahrungsanstalt für "schwer erziehbare Kinder", sondern eine zur Umgebung hin offene Struktur mit Einrichtungen wie Schwimmbad und Sporthalle, Theater und Café, die allen Bewohnern des Bezirks offen stehen sollten. Schlafsäle sollte es keine mehr geben, sondern Familieneinheiten nach dem Vorbild der SOS-Kinderdörfer, freilich als "Stadt des Kindes" in eine urbane Form übertragen.“ So beschrieb der Architekturkritiker Christian Kühn vor 4 Jahren eines der letzten Rauchzeichen eines sich allmählich verdünnenden Sozialismus, der in Wien einst Architekturgeschichte geschrieben hat. Als würde man sich dieses „Sozialismus“ mit Herz (für Kinder) heute schämen, werden solche Meilensteine Stück für Stück, langsam aber sicher, zum Verschwinden gebracht. Vielleicht sind solche Zeugen sozialen Denkens und Handelns in einer Zeit, in der ein vor sozialer Kälte klirrender Pseudosozialismus das Geschäft einer zum Apparat erstarrten Parteimaschinerie besorgt, unbequem. Vielleicht sollten den immer weniger werdenden aufrechten, wirklich sozial denkenden Genossen jene Beispiele abhanden kommen, auf die sie augenfällig verweisen könnten, wenn die Rede darauf kommt, was Sozialismus in unserer Zeit real und nicht nur in leeren Worthülsen und Versprechungen bedeuten könnte.

Soziale Einrichtungen – nein danke!

Soziale Einrichtungen kosten Geld. Deshalb wird es ja in überreicher Menge in Form von Steuern und Abgaben eingehoben. Wenn es allerdings für soziale Einrichtungen ausgegeben werden soll, werden plötzlich marktwirtschaftliche Erwägungen vorgeschützt. Da erweist sich eine „Stadt des Kindes“ oder auch eine Markthalle als „unrentabel“ und dem Steuerzahler gegenüber nicht zu verantworten. Da handelt dann eine Stadtregierung so wie das Management eines „Heuschrecken“-Unternehmens, das nichts anderes sieht als die „shareholder value“. Als wäre die Stadt Wien ein börsennotiertes Unternehmen. Da ist Geld nur dann vorhanden, wenn man sich auf eine durch nichts und niemanden genau nachvollziehbare „Umwegrentabilität“ berufen kann, wie etwa bei einer sportlichen Großveranstaltung vom Range einer Fußball-EM. Kinder lässt man bei Wahlen zwar großzügig an die Urnen, weil das nicht viel kostet, die „Stadt des Kindes“ aber wird zerstört.

Baggersozialismus

Den Erwachsenen dieser Stadt ergeht es nicht viel anders. Auch ihre Stadt wird heute von einer „Bewegung“, die einst wesentlich zum Wahlrecht aller Bürger beigetragen hat, an vielen Ecken und Enden demoliert. Natürlich ohne die Bürgerinnen und Bürger in ihre einsamen Entscheidungen auch nur im mindesten einzubinden. Als Strafe dafür, dass sie von dem mühsam errungenen Wahlrecht nicht den richtigen Gebrauch gemacht haben.

„Drohende“ Bürgerbeteiligung?

„Das ist ein Überfall!“ Mit diesen oder ähnlichen Worten pflegen Räuber ihre Untaten anzukündigen, wenn zwar erst unmittelbar davor, so wenigsten doch, um ihrem Opfer wenigstens die Chance einer adäquaten Reaktion zu ermöglichen. Unangekündigte Überfälle gelten nach dem Ehrenkodex der Gangster als heimtückisch und hinterhältig. Und solches wollen selbst sie sich nicht nachsagen lassen. Was ein anständiger Räuber ist, sagt wenigstens „Geld oder Leben“, bevor er zuschlägt. Aber Wien ist anders. Da wird in einer Nacht- und Nebelaktion noch rasch vor einem Termin, den Stadtrat Schicker der Bürgerinitiative „gewährte“, mit dem Abriss begonnen. Ganz ohne Vorwarnung, sozusagen als „geheime Kommandosache“. Schlechtes Gewissen oder altbewährte Politik des „Drüberfahrens“?
Die Bürgerinitiative vermutet – wahrscheinlich nicht zu Unrecht - , der Bagger sei nur deshalb so überfallsartig aufgefahren, weil sie sich den Kopf der Stadtregierung über eine nachhaltige Nutzung der „Stadt des Kindes“ zerbrochen hat und weil daher entschiedener Widerstand gegen die kalte Umwandlung in eine Wohnsiedlung zu erwarten war.

„Der Wasner hat g’sagt...“

Eigenartig, wenn auch nicht ganz neu, ist die Art und Weise, in der man dem erwarteten Vorwurf mangelnder Bürgerbeteiligung begegnen will. Man hat einen der Geschäftsführer des Bauträgers Arwag, einen gewissen Herrn Wasner, zur Sitzung der Bezirksentwicklungskommission gebeten, wo er bekundete, dass es zwar Leute gebe, die gegen den Abriss protestierten, aber weit mehr Leute, die sich dafür aussprächen. Den Abrissgegnern ist allerdings kein wie immer geartetes Verfahren (Befragung, Abstimmung, Unterschriftenaktion) bekannt, das eine solche Aussage rechtfertigen würde. Jedenfalls ist er die Quelle für diese möglicherweise entscheidende Aussage schuldig geblieben. (Bei Wien Mitte war das noch ein wenig anders, da hatte Stadtrat Schicker die Dreistigkeit, das Gegenteil von dem zu behaupten, was aus dem Besucherbuch der Projektausstellung klar und eindeutig abzulesen war – wenn man sich nur die Mühe gemacht hat, es durchzulesen. Und natürlich waren es dann, nachdem die Falschmeldung nachgewiesen worden war, „Mitarbeiter, die ihn falsch informiert hatten“.)
Es genügt also, Bürgerbeteiligung durch die unsubstanziierte Meinung eines Bauträgerchefs zu ersetzen. Der sagt seinen Gemeindepolitikern, wo es lang zu gehen hat - nachdem diese ihm natürlich zuerst das Gleiche gesagt haben. Das ist, anders herum gesagt, eben ein „vereinfachtes Verfahren“, effizient, ohne zeitliche Verzögerung durch sinnlose Diskussionen mit Menschen, die Wien vor dem Ärgsten bewahren wollen und die von manchen dafür mit dem Etikett „Verhinderer“ belegt werden: ur-soziale Politik eben.

Pummerin oder Käseglocke?

Die Pummerin gilt als lokales Tabu. So sehr, dass sie, im 2. Weltkrieg vernichtet, zur Gänze wiederhergestellt worden war. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil des „Welterbes“. Sie kann Stadtrat Schicker wohl nicht gemeint haben, als er in Richtung „Welterbe“ gemeint, man könne Wien nicht unter eine Käseglocke stellen. Schon der Vergleich offenbart die Gesinnung. Schützenswerte Bausubstanz ist für ihn offenbar Käse, und ist – um bei seiner Metapher zu bleiben – als solcher primär für den Verzehr, also fürs „wegputzen“ da, und nicht dazu, dass er als „Schandfleck“ - faktisch und bildlich - die Gegend „verstinkt“. Solcherart verkommen Architektur und Stadtbild zum Gegenstand der Kulinarik, oder treffender gesagt, des Kannibalismus. Der macht nun selbst vor der Architektur des „roten Wien“ nicht halt, vor allem dann, wenn diese an sozialere Zeiten des Wiener Sozialismus erinnert. Und der joviale Herr Bürgermeister lehnt sich mit dem obligaten Gläschen Wein in der Hand lässig zurück und tut so, als ob ihn das alles nichts anginge. Schließlich ist er ja „nur“ Bürgermeister und Landeshauptmann.

Helmut Hofmann
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