Donnerstag, 26. Dezember 2019
Wiener Parteien zur Bürgerbeteiligung (1): Die GrünenAktion 21 – pro Bürgerbeteiligung hat vor Wahlen stets die Parteien zu ihrer Einstellung gegenüber partizipativer Demokratie befragt. Für die 2020 stattfindenden Wien-Wahlen haben sie uns dieser Mühe bereits enthoben. In einer „aktuellen Stunde“ des Wiener Gemeinderates zum Thema „Wien braucht eine neue Form der Bürgereinbindung“ haben Regierung und Opposition ihre Haltung zur Bürgerbeteiligung klar und deutlich auf den Tisch gelegt und in überraschender Offenheit dargelegt, was sie von Bürgerbeteiligung halten. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Es könnte einem politisch völlig unterentwickelten Land entstammen, in dem man soeben die ersten, noch sehr unbeholfenen Gehversuche in Sachen Demokratie unternimmt. Zur Schonung der Magengruben unserer Bürgerinnen und Bürger werden wir die Wortspenden der Parteienvertreter für jede Partei gesondert, also in 5 Folgen, beginnend mit den Regierungsparteien Grüne und SPÖ, kommentieren. Die nachfolgende erste Folge ist dabei jener Partei gewidmet, die sich – im Unterschied zu ihrer größeren Koalitionspartnerin – am vehementesten für Bürgerbeteiligung stark gemacht hat – seinerzeit, als sie noch zur Opposition zählte. Bürgerbeleidigung statt Bürgerbeteiligung Gemeinderätin Dr. (ich verweigere meiner Muttersprache zuliebe die geschlechtsspezifischen Endungen geschlechtsneutraler Abkürzungen wie „GRin“ oder „Dr.in“) Jennifer Kickert (Grüne) meldete sich mit folgender Ansage (zitiert aus PID-Rathauskorrespondenz) zu Wort: „Was die Opposition hier als Beispiele nenne“ – konkret waren dies Gersthof, Heumarkt, Karlsplatz und Steinhofgründe – , sei „Polemik gegen Projekte, die Ihnen politisch nicht passen“. Dabei seien etwa die Steinhofgründe ein„Vorzeigeexempel dafür, wie aus einem Gemeinderatsbeschluss mit mehr als 600 geplanten Wohnungen ein Projekt mit 140 Wohnungen wurde, unter Beteiligung und Mitsprache der Bevölkerung. „Ja, es gibt natürlich welche, die wollen dort null Wohnungen“, sagte Kickert, „aber 100 Prozent Zustimmung wird es in einer Demokratie nie geben.“ ÖVP und FPÖ missbrauchten die Stimmen jener, die „immer und überall gegen alles sind“ – das bringe die politische Debatte aber keinen Schritt weiter. Als positives Gegenbeispiel nannte sie die „Werkstadt Junges Wien“, das „größte Beteiligungsprojekt für Kinder und Jugendliche“ mit mehr als 22.000 TeilnehmerInnen. Überhaupt gebe es eine Vielzahl an Ausgangspunkten und „möglichst viele Formate für möglichst viele Menschen“, um sich einzubringen – das könne vom Schulprojekt über die Petition bis zum Stadtlabor reichen, meinte Kickert.“ Zum Staunen, nicht nur über die Wendehalsigkeit, sondern darüber, dass dies nicht von irgendeinem Mandatar stammt, sondern ausgerechnet von jener Gemeinderätin, der in der Stadtverwaltung die Aufgabe zukommt, die Agenden der Bürgerbeteiligung wahrzunehmen! Als gäbe es keine überparteilichen Bürgerinitiativen, werden Projekte, die von der Bevölkerung als Anschläge auf ihre Lebensqualität abgelehnt werden, als „der Opposition nicht passende“ hingestellt und, was noch frecher ist, die inzwischen zu mehr als hunderttausend angewachsenen Menschen, die um ihre lebenswerte Stadt – im Gegensatz zu Frau Kickert unbezahlt – kämpfen, als Querulanten und Suderer, „die immer und überall gegen alles sind“ verunglimpft. Nach Tische liest man’s anders. Dabei vergisst Frau Kickert, die solche Gemeinheiten gegen die Bewohnerinnen und Bewohner Wiens von sich gibt, dass es gerade sie und die Grünen waren, die gegen jedes nennenswerte Projekt in dieser Stadt aufgetreten sind, das nicht lupenrein ihren ideologischen Grundsätzen entsprochen hat. Sie haben Proteste gegen ihnen nicht passende Projekte lauthals, sogar aus einem eigenen, von ihren Mandataren gespeisten Budget unterstützt. Das ist schon länger her – in einer Zeit, in der sie noch nicht in Wien mitregieren durften und in Opposition zur damals noch mit absoluter Mehrheit regierenden SPÖ standen. Von Beteiligung und Mitsprache der Bevölkerung war in den letzten 10 Jahren wenig zu hören. Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung wurde von Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou um ein Konzept gebeten, wie Bürgerbeteiligung in Wien praktisch umgesetzt werden könnte. Dieses Konzept wurde ihr nach einigen Monaten intensiver Kleinarbeit von einer Bürgerdelegation überreicht. Seither hat man nichts mehr darüber gehört, außer dass Frau Kickert ein Jahr danach erklärt hatte, es überhaupt nicht zu kennen. Auch andere, im Rahmen des STEP vorgebrachte bahnbrechende Ideen für zukunftsweisende Verkehrskonzepte blieben ohne jegliche Reaktion. Dass dazu nicht einmal kritisch Stellung genommen wurde, lässt befürchten, dass diese Ideen niemals für wert befunden wurden, gelesen zu werden. Sogenannte Bürgerbeteiligung Das Einzige, dessen sich Frau Kickert berühmt, ist das „größte Beteiligungsprojekt für Kinder und Jugendliche“ namens „Werkstadt Junges Wien“ mit angeblich 22.000 Teilnehmenden. Das erinnert an Jugendorganisationen, mit denen politische Parteien immer schon unerfahrene und daher unkritische junge Menschen in ihren ideologischen Bannkreis ziehen wollten. Wir wissen aus Geschichte und Sagenwelt, wohin Kinder- und Jugendverführung führt. Die sonst noch erwähnten Beteiligungsformen „vom Schulprojekt (was immer darunter zu verstehen ist) über die (formalistische Farce der) Petition bis zum (dem kulturellem Austausch, nicht aber der Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen dienenden) Stadtlabor“, erinnern an die weiland von Stadtrat Schicker gepriesenen, längst eingeschläferten sogenannten Bürgerbeteiligungsformen Gebietsbetreuung, Grätzelmanagement und Abgabe von Stellungnahmen zu öffentlich aufgelegten Plandokumenten. Für sie wurde immer genug Geld aufgebracht, obwohl sie – als reine top down – Einrichtungen, so gut wie nichts gebracht haben. Was Frau Kickert dabei bezeichnenderweise – wohl mit Rücksicht auf den Koalitionspartner - ausgespart hat, ist die Lokale Agenda 21, ein ebenfalls von oben gesteuertes Zerrbild einer guten internationalen Idee, die von tausenden frustrierten Bürgerinnen und Bürger mit der Gründung von Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung beantwortet worden war. Bevölkerung mundtot machen? Dieser Kommentar wäre unvollständig ohne die Stimme von Frau Kickerts Klubkollegen GR Mag. Rüdiger Maresch, der „mahnte, die repräsentative und partizipative Demokratie nicht mit der Plebiszität zu verwechseln. Die Politik sei für ihre Handlungen verantwortlich.“ Es ist nicht klar, an wessen Adresse er die Mahnung, die repräsentative Demokratie nicht mit der partizipativen oder plebiszitären (die er offenbar mit dem etwas verunglückten Begriff „Plebiszität“ meint) gerichtet wissen will. Für eine derartige Verwechslung werden kaum Beispiele zu finden sein. Gegen die Verwechslung von partizipativer und plebiszitärer Demokratie hingegen tritt selbst Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung immer wieder energisch auf, weil sie einem jener gegen Bürgerbeteiligung schlechthin gerichteten Killerargumente dient, die sich gegen jegliche Bürgerbeteiligung richten, obwohl sie nur gegen plebiszitäre Demokratie gedacht sein können. Dass solcherart jegliche Bürgerbeteiligung in Misskredit gezogen wird, ist offenbar ein gerne in Kauf genommener ideeller „Kollateralschaden.“ Begriffsverwirrung Zu dieser Begriffsverwirrung passt Herrn Mareschs anderer uralter Kalauer gegen Bürgerbeteiligung: wenn „wir alles die Bürgerinnen und Bürger abstimmen lassen und uns abputzen, ist das nicht mehr Demokratie. Es sei Aufgabe der Politik, gewisse Vorgaben, Ziele und Rahmen vorzugeben, innerhalb derer eine Beteiligung passieren solle – über alles und nichts abstimmen zu lassen sei jedenfalls nicht der richtige Weg.“ Genau jene Verwechslung, gegen die er zwei Sätze vorher zu Felde zieht, dient ihm nun als Windmühle, gegen die er als Don Quixote zu Felde zieht. Erstens wollen selbst eingefleischte Anhänger der plebiszitären Demokratie nicht „alles“ die Bürger und Bürgerinnen abstimmen lassen, zweitens muss für Verfechter der partizipativen Demokratie - als einer Demokratie des Konsenses und nicht der Konfrontation – der Mehrheitsentscheid das letzte Mittel sein können, bei Gefahr im Verzug zu einer Entscheidung zu gelangen, die im Konsensweg trotz ehrlichen Bemühens nicht erzielt werden kann. Deshalb ist es nicht klug, einen solchen Mehrheitsentscheid von vorneherein zu verteufeln: dies könnte zu Entscheidungschaos und zu verheerenden Folgen für Demokratie und Rechtsstaat führen. Dazu lapidar festzustellen, das sei nicht mehr Demokratie (!), stellt nicht nur groteskerweise die funktionierende Schweizer Demokratie in Frage, sondern negiert eine für jede Demokratie unentbehrliche und wesentliche Voraussetzung. Wer meint, dies sei nicht der richtige Weg, der hat den Begriff „Demokratie“ nicht verstanden und huldigt, vielleicht ungewollt und unwissend, einem unseligen Führerprinzip, von dem wir nach den Ereignissen des 20. Jahrhunderts für immer geheilt sein sollten. Die Aufgabe unerledigt Der Kreis schließt sich mit der Feststellung des Herrn Maresch, es sei „Aufgabe der Politik, gewisse Vorgaben, Ziele und Rahmen vorzugeben, innerhalb derer eine Beteiligung passieren solle.“ Dem ist, abgesehen von der Worthülse des „Vorgaben Vorgebens“, durchaus beizupflichten und hinzuzufügen, dass sich die in Wien dafür zuständige, seit 10 Jahren von grünen Vizebürgermeisterinnen geleitete MA 21 dieser Aufgabe immer noch nicht gestellt hat und dies daher auch in absehbarer Zukunft nicht erwartet werden darf. Helmut Hofmann |