Montag, 12. November 2007
Es ist schon lange – fast zwei Jahre – her, dass sich eine parteipolitische Organisation auf eine Veranstaltung zum Thema Bürgerbeteiligung in Wien eingelassen hatte. Zur Erinnerung: das Renner-Institut hatte am 14.06.2005 zu einer Veranstaltung zum Thema European Cities 2010 - 2030 – 2050 Nachhaltigkeit und Partizipation - städtische Lebensräume zukunftsfähig gestalten im alten AKH geladen, bei welcher neben einigen (Partei-)Insidern eine große Zahl interessierter Bürgerinnen und Bürger aus mehreren Bürgerinitiativen gekommen waren und der Veranstaltung einen etwas unerwarteten Verlauf beschert hatten. Seit damals waren es nur die Initiativen Wiener Bürger-Initiativen, welche sich in zwei Diskussionsveranstaltungen an diese Thematik heranwagten. Vom Renner-Institut wie auch von der Stadt Wien wurden entsprechende Vorschläge abgelehnt. Umso bemerkenswerter, dass die Wiener ÖVP, wenn auch mit ein wenig gemischten Gefühlen, sich auf Anregungen aus dem Kreise von aktion21-pro Bürgerbeteiligung diesem Unterfangen stellte. Anfängliche Skepsis... Unausgesprochene Skepsis galt sowohl dem gesitteten Ablauf – offenbar ist Bürgerbeteiligung bei Politikern immer noch mit Volkszorn, Niederbrüllen und Wutausbrüchen konnotiert – ebenso wie der Frage, ob die Resonanz dem Anspruch entsprechen würde. Dabei steht Ersteres mit Letzterem insoferne im Zusammenhang, als ängstliche Zurückhaltung in der Werbung für eine solche Veranstaltung nicht eben zu übervollen Sälen führt und das im Interesse einer lebendigen Veranstaltung sogar erwünschte Mindestmaß an Kontroverse auf der Strecke bleiben kann. Solche Befürchtungen waren allerdings nicht einseitig, da ja auch die Versuchung zur Vereinnahmung deraretiger Veranstaltungen für Parteipropaganda nicht von der Hand zu weisen ist. Immerhin, und das wurde auch gewürdigt, kam es zu einer besonderen Premiere: zu einer in Wen erstmaligen Einladung an eine Bürgerbeteiligungsorganisation zu einem einleitenden Impulsreferat. ...erweist sich als unbegründet Die Skepsis erwies sich als unbegründet. Der Saal war gut besucht, hauptsächlich von Menschen, die aus den verschiedenen Bürgerinitiativen bekannt waren. Einige wenige, mit Bürgerbeteiligung in Theorie und Praxis befasste Personen, auch solchen aus der Politik, beschränkten sich - mit ganz wenigen Ausnahmen - aufs Zuhören. Von parteipolitischer Werbung war kaum etwas zu festzustellen. War auch nicht erforderlich – die Bereitschaft zur Diskussion über die Thematik Bürgerbeteiligung war wohl die bessere Werbung als jede beschönigende Selbstdarstellung. Die Diskussion verlief sachlich und ohne jegliche Störung. Die Bürgerinnen und Bürger zeigten ihre Beteiligungsreife. Es fand sich auch keine Stimme, welche Bürgerbeteiligung in Frage stellte. Im Gegenteil: sogar von Seiten des gut ausgewogenen und wohltuend kurz und zur Sache sprechenden Podiums wurde wiederholt festgehalten, dass an Bürgerbeteiligung kein Weg vorbeiführen werde, egal, welchen Einfluss man darauf nehmen wolle. Einige Anmerkungen Die gedrängte Zusammenfassung der verschiedenen Meinungen des Podiums und des Auditoriums spricht für sich. Da der Versuch, die Veranstaltung zu einer offenen Diskussion zu einzelnen Beteiligungsfragen werden zu lassen, einmal mehr nicht von Erfolg gekrönt war, wird über eine Fortsetzungsreihe nachgedacht, in welcher dieses Manko aufgeholt werden könnte. Einen kleinen Beitrag dazu mögen einige kritische Anmerkungen zu einzelnen Ansichten liefern, die im Zuge der Veranstaltung geäußert wurden. Vielleicht rafft sich der oder die eine oder andere dazu auf, im Forum auf unserer Homepage http://www.aktion21.at/forum darauf zu antworten – es könnte für weitere Veranstaltungen von Nutzen sein. Sich-Einlassen auf Unbekanntes Zunächst: der Gedanke der Bürgerbeteiligung an sich wurde von niemandem in Frage gestellt. Es gab lediglich einige kritische Anmerkungen. Eine davon betrifft das geringe Echo in der Bevölkerung auf die LA21. Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer hat es auf den Punkt gebracht: Es fehlt die Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen. Das betrifft vor allem jene, die zwar eine LA21 im Sinne der von der UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung 1993 verabschiedeten Agenda 21 in Wien implementieren wollten, aus Angst vor der eigenen Courage aber auf halbem Weg stecken geblieben waren und ein Kind geboren hatten, an dessen Lebensfähigkeit sie selbst nicht recht glauben und das sie am liebsten weglegen würden. Aus einer solchen Einstellung heraus und für einen solchen Beteiligungstorso kann man in der Bevölkerung kaum Anhänger gewinnen, es sei denn, es funktioniert so wie im 4. Wiener Gemeindebezirk, wo aus einer in Wien ziemlich einmaligen parteipolitischen Konstellation heraus der Druck auf die Bezirkspolitik, an einem Strang zu ziehen und Bürgerbeteiligung wirklich ernst zu meinen, wenigstens in gewissen Themenbereichen Erfolg zeitigt. Es wundert daher nicht, wenn die Bezirksvorsteherin die mangelnde Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen, zumindest für die Wieden widerlegt. Schade nur, dass die Beispielwirkung auf andere Agendabezirke (und die, die es noch werden könnten) zu wünschen übrig lässt. Was bedeutet Ehrenamtlichkeit? Eine weitere kritische Anmerkung, sowohl von Herrn Fürst als auch von Frau Freytag vorgetragen, betrifft den Zeitaufwand, den aktive Bürgerinnen und Bürger erbringen müssen. Die Kritik war denn auch nicht gegen die Bürgerbeteiligung selbst gerichtet, sondern gegen jene, die mit der Zeit der Beteiligten allzu gedankenlos umgehen, als hätten diese nichts anderes zu tun, als sich für die Allgemeinheit – natürlich kostenlos – zu engagieren. Es darf an die jede weitere Diskussion abschneidende Entrüstung erinnert werden, die Vertreter der Stadt Wien in einem Bürgerbeteiligungsverfahren an den Tag legten, als eine Bürgerin die schüchterne Frage nach einer Entschädigung für stunden-, ja tagelange Teilnahme an Beteiligungsgesprächen stellte, nachdem ihr klar geworden war, auf was sie sich da eingelassen hatte. Dass damals die Vertreter der betroffenen Bevölkerung die einzigen in der großen Runde waren, die für ihre oft bis Mitternacht dauernde Tätigkeit nicht einen Cent erhielten, ja im Gegenteil auch noch für alle damit verbundenen Auslagen selbst aufzukommen hatten, sollte auch einmal offen diskutiert werden. Wer Bürgerbeteiligung zu wollen vorgibt, wird sich zumindest darüber den Kopf zu zerbrechen haben, wer die tatsächlich für aktive Bürgerinnen und Bürger anfallenden Auslagen (Fahrt- und Kommunikationskosten, Kosten für Fachexpertisen, Büromaterial, Lokalitäten etc.) tragen soll. Es verwundert schon, wenn – mit Recht – über Sparsamkeit mit der Zeit der Bürgerinnen und Bürger abgehandelt wird, die tatsächlichen, oft beträchtlichen Auslagen aber unerwähnt bleiben. Populistische Bürgerinitiativen? Eine nicht ganz verständliche Anmerkung eines Podiumsteilnehmers galt „populistischen“ Bürgerinitiativen, die es gegen die übrigen abzugrenzen gelte. Unter „Populismus“ versteht man die Haltung von Politikern, die „dem Volk nach dem Maul zu reden“ versuchen, um mit billigen, auf oberflächliche Scheinargumente gegründeten Forderungen Stimmen zu fangen. Es soll hier nicht bestritten werden, dass politische Gruppierungen unter dem Mäntelchen einer sogenannten „Bürgerinitiative“ ihre Suppe zu kochen versuchen. Wir sind sogar schon einer sich als Bürgerinitiative gerierenden „Initiative von Bezirksabgeordneten“ einer politischen Partei begegnet. Dazu ist zu sagen, dass solche „Initiativen“ bei der überparteilichen Aktion21 – pro Bürgerbeteiligung nicht Fuß fassen werden. Erstens versuchen die uns angeschlossenen Bürgerinitiativen, da nicht wahlwerbend, keine Stimmen zu fangen. Und zweitens hat bislang noch keine uns angeschlossene Bürgerinitiative versucht, Menschen durch Scheinargumente zu einer Unterschrift unter ein von ihr vertretenes Anliegen zu bewegen. Es sei denn, man denunziert Sachargumente, die man in sachlicher Diskussion mangels guter Begründung nicht widerlegen kann, als Scheinargumente. Dann aber passt „Populismus“ eher auf jene, gegen deren Absichten sich die Bürgerinitiative formiert hat. Auf eine kurze Formel gebracht: Nichtpolitiker, welche ihr Geld und ihre Zeit für ein allgemeines Anliegen opfern, haben nicht den geringsten Grund, sich „populistisch“ zu gebärden. Die vorgebrachte Kritik in Ehren, aber an aktion21-pro Bürgerbeteiligung geht sie jedenfalls vorbei. Wesentlich: frühestmögliche Einbindung Wie ein roter Faden zog sich durch die Diskussion die Feststellung, dass erfolgreiche Bürgerbeteiligung oder auch Öffentlichkeitsbeteiligung – wie es Frau Freytag einer geschlechterneutralen Sprache wegen nannte – wesentlich mit der frühestmöglichen Einbindung der betroffenen Bevölkerung in die Projektplanung – möglichst schon im Stadium noch nicht ausgereifter Ideen – steht oder fällt. Die Verhärtung der Standpunkte, das Für oder Gegen, die ungewollten Verzögerungen könnten vermieden werden, wenn man aufeinander zu einem Zeitpunkt zuginge, zu welchem noch nichts festgefahren ist und zu welchem noch kein das Verhalten beeinträchtigender finanzieller und emotionaler Aufwand geleistet worden ist. Das ändert nichts daran, dass die Letztentscheidung im Rahmen der repräsentativen Demokratie von den gewählten Politikern zu treffen ist, wenn ihnen hiefür unter Bürgermitwirkung ausgewogen diskutierte und objektiv erarbeitete Lösungsvorschläge vorliegen. Allerdings nicht nach dem Vorbild des seinerzeitigen Vizebürgermeisters Görg, der – anders als in seinem von Herrn Fürst zitierten Ausspruch – die Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern über das Projekt Wien Mitte im Jänner 2000 mit den Worten eröffnete: „Wir können hier über alles reden, aber an dem Plan wird nichts geändert“. LA 21 - nicht nur negativ Sehr wertvoll war der Hinweis darauf, dass die LA21 neben ihrem Totalversagen bei größeren Projekten und ihrer unzulänglichen Implementierung – sie ist immer noch auf 9 der 23 Bezirke beschränkt – auch positive Ergebnisse aufzuweisen hat, wo sie funktioniert: die Bildung neuer Netzwerke und eines Zusammengehörigkeitsgefühls im Grätzel. Das zeigt, dass Bürgerbeteiligung trotz aller Widerwärtigkeiten doch etwas Gutes ist, das es anzustreben gilt. Was kommt nach der Agenda 21 ? Aufhorchen ließ die abschließende Bemerkung der Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer, es gäbe Überlegungen, ob die Stadt Wien die LA21 überhaupt weiterführen solle. Anscheinend ist den Verantwortlichen nicht klar, dass sich die Stadt Wien mit ihrem Beitritt zur Charta von Aalborg zur Agenda 21 bekannt hat und mit den Aalborg Committments dazu verpflichtet ist, ihren „Entscheidungsfindungsprozessen durch mehr direkt-demokratische Mitwirkung neuen Schwung zu verleihen“. Groß ist also der Spielraum nicht gerade, es sei denn, man wolle, wie beim Welterbe, sich freiwillig früher eingegangener internationaler Verpflichtungen einseitig entledigen, wenn man glaubt, sie nicht mehr „gebrauchen“ zu können. Dass man sich damit demokratiepolitisch in eine gefährliche Nähe zu (fern)östlichen Regimes begibt, wird den Verantwortlichen – und auch der Opposition - hoffentlich noch rechtzeitig bewusst werden. Wenn man wirklich nicht aus und ein weiß, haben wir eine einfache Lösung: im Sinne der Konferenz von Johannesburg von der Agenda zur Aktion übergehen und die Entwicklung einer funktionierenden Bürgerbeteiligung in dieser Stadt getrost in die Hände der in aktion21 – pro Bürgerbeteiligung vereinigten Bürgerinnen und Bürger zu legen. Ein Zusammenfassung der wesentlichen Textpassagen dieser Veranstaltung finden Sie im untenstehenden Link Aufgeschnappt Beitrag Links zu diesem Thema
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