AKT!ON 21

„Selbsternannte“, das Unwort des Jahres


Montag, 12. November 2007

„Selbsternannte“ – das kennen wir bereits bis zum Erbrechen als Kennzeichen einfalls- und niveauloser Polemik. Wo Journalisten – glücklicherweise nur wenige – davon Gebrauch machen, spricht es obendrein allen Grundsätzen dieser Zunft Hohn, weil durch das Einstreuen dieses „Unworts“ Tatsachenberichte pervertiert werden. Gehen wir ihm doch einmal auf den Grund.

Selbst – und Fremdernannte

Wann ist von „selbsternannten“ Denkmalschützern, Rettern, Sachverständigen, Bürgerinitiativen usw. die Rede? Zu wem stehen „Selbsternannte“ im Gegensatz? Usurpieren sie jene Legitimität, die man bei Fremdernannten voraussetzt?
„Selbsternannt“ bedeutet, in jedem Fall, dass jemand die Initiative zu einem Handeln ergreift, welches die dazu Befugten und Bestimmten ihrer Meinung nach nicht oder nicht gehörig ausüben. Im Unterschied zu diesen werden die „Selbsternannten“ für ihre Tätigkeit nicht bezahlt. Sie sind daher über den Verdacht erhaben, aus Eigennutz oder über Auftrag zu handeln. Auch ein Mensch, der ins Wasser springt, um ein Kind vor dem Ertrinken zu retten, weil gerade kein ernannter Bademeister zur Stelle ist, oder jemand, der einen in Schach hält, bis die Polizei zu Hilfe eilt, ist ein „selbsternannter“ Lebensretter oder Polizist. So gesehen fällt die mit dem Ausdruck einhergehende Ironie auf ihren Urheber zurück. Hätten wir nur genug „Selbsternannte“, die von anderen Ernannten würden wohl um vieles besser funktionieren.

Expertengläubigkeit oder Gedankenlosigkeit?

Wer mit ironischem Unterton von „Selbsternannten“ spricht oder schreibt, ist entweder grenzenlos naiv oder schlicht und einfach gedankenlos. Naiv deshalb, weil sich der Glaube an das Besserwissen ernannter Experten sehr oft als trügerisch erweist. Es darf dezent darauf hingewiesen werden, dass die Epistemologie – die Lehre von den Wissenschaften – den Unterschied zwischen ernannten und selbsternannten Experten nicht kennt. In der Wissenschaft gilt nur das bessere Argument, welches freilich voraussetzt, dass man in der Lage ist, es intellektuell nachzuvollziehen. Wenn es von jemandem kommt, der sich weder auf Prüfungszeugnisse, noch auf Ernennungsakte berufen kann, ist es deshalb noch lange nicht minderwertig. Wer die sachliche Auseinandersetzung mit ihnen verweigert, noch dazu unter Berufung auf die eigene Unfähigkeit, sachkundige Argumente nachzuvollziehen, ist gut beraten darauf zu verzichten, andere zu verhöhnen. Wer das Unwort „selbsternannte“ gebraucht, verhöhnt sich selbst. Vielleicht ist das manchen, die sich dabei sehr originell vorkommen mögen, gar nicht bewusst geworden. Doch auch Gedankenlosigkeit ist keine Entschuldigung.

Eine Lanze für die „Selbsternannten“

Es gibt immer noch Menschen, denen der Obrigkeitsstaat in den Knochen sitzt. Die gläubig nachbeten, was ihnen von der Obrigkeit in die Ohren getrommelt wird. Die glauben, was von der Obrigkeit bestellte Experten in langatmigen Gutachten von sich geben und denen gar nicht in den Sinn käme, dass das Ergebnis eines Gutachtens im vorhinein vom Auftraggeber festgelegt sein könnte. Die immer noch daran glauben, dass der von der Vorsehung bestellte Führer Irrtümern weniger ausgesetzt sei als der einfache Volksgenosse. Die an eingefahrenen Strukturen einfach nichts ändern wollen, weil dies nur Kopfschmerzen verursacht. Natürlich nur so lange, als sie nicht selbst Betroffene dieses Obrigkeitsstaates sind. Solidarität ist für sie ein Fremdwort. Sie kennen nur ihren Persönlichen Vorteil oder das, was sie für diesen halten. Nicht die anderen, die „Selbsternannten“, die sie oft als Träumer denunzieren, sind solche, sondern sie selbst. Sie träumen den Traum der Gerechten, die sich in falscher Sicherheit wiegen, so lange, bis sie aus ihrem Traum unsanft erwachen. Dann werden manchmal aus Saulussen Paulusse. Meist erst nach Erreichung des Ruhestandes. Es ist eben nie zu spät, klüger zu werden.

Helmut Hofmann



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