Freitag, 4. November 2016
Jennifer Kickert, Wiener Grünensprecherin für BürgerInnen-Beteiligung und Demokratie, hat laut bz zur frühzeitigen, ehrlichen und ergebnisoffenen Information über Bauvorhaben und Flächenwidmungsänderungen gemeint, „ergebnisoffen“ erzeuge in diesem Zusammenhang eine falsche Erwartung. Kickert antwortete auf die Frage: „Gäbe es eine Kommunikation mit den Bürgern auf Augenhöhe" und "frühzeitig, ehrlich und ergebnisoffen Informationen zu Bauvorhaben und Flächenwidmungsänderungen" - stimmen Sie da zu, dass dann viele Petitionen gar nicht nötig wären?“ „Ja, ich gebe Ihnen da Recht. Es gibt nur ein Wort, das in diesem Zusammenhang eine falsche Erwartung erzeugt: ergebnisoffen.“ Die richtige Erwartung: Drüberfahren Im Klartext: die Erwartung, dass mit den Bürgern auf Augenhöhe frühzeitig und ehrlich über Bauvorhaben und die dafür nötigen Widmungen diskutiert wird, bevor alles beschlossene Sache ist, ist falsch. Richtigerweise ist vielmehr zu erwarten, dass Projekte über die Köpfe der Bevölkerung hinweg und möglichst hinter deren Rücken angedacht, ausgepanscht, durchgeplant und bis zur Beschlussreife im Gemeinderat durchgeboxt und dann erst der Bevölkerung bekannt gegeben werden. Die kann dann gerade noch ihre Stimme zum Protest erheben, wenn sie in der kurzen Zeit bis zum Gemeinderatsbeschluss die nötigen Unterschriften zustande bringt. Nicht dass genügend Menschen unterschreiben würden, da kann man meistens tausende ansprechen, die dazu bereit sind – nein, man rechnet damit, dass diejenigen, die mit dem Unterschriftensammeln beschäftigt sind, auch etwas anderes zu tun haben und die Zeit für einen gesammelten Protest einfach zu kurz wird. „Speed kills“ hat dazu vor 17 Jahren ein führender Architekt von Schwarz-Blau höhnisch gemeint und nicht damit gerechnet, dass er in Rot-Grün so bereitwillige Imitatoren finden würde, zumal wenn es gegen die eigene Bevölkerung geht. Denkbar – für wen? Damit kein Zweifel besteht, streut Kickert noch eine fragwürdige Begründung drüber: „Ganz am Anfang eines solchen Prozesses kommt jemand mit einer Idee und sagt "Ich würde da gerne mehr bauen als jetzt zugelassen ist". Die Verwaltung sieht sich das an und sagt dann, dass dies (aufgrund strategischer Vorgaben wie Stadtentwicklungspläne) denkbar oder eben nicht denkbar wäre. Ist es nicht denkbar, ist das Projekt tot, ist es aber denkbar, so startet der ganze Prozess.“ Nach Kickert ist es also die „Verwaltung“, bei der der Bürger nachdenken lassen muss, ob etwas denkbar ist oder nicht. Jaja, natürlich mit Stadtentwicklungsplänen als Vorlage – und wer macht diese, Frau Kickert? Genau, eben jene „Verwaltung“, die sich dann danach hält oder auch nicht, je nach Einzelfall. Ohne dass Bürger etwas dagegen tun können, wenn etwas für sie weniger denkbar ist – nicht einmal im Wege ihrer gewählten Vertreter. Die dürfen erst ganz zuletzt die Widmungen absegnen. Stadtentwicklungspläne sind nicht verbindlich, sie dienen nur als Feigenblätter, die man je nach konkretem Bedarf zurechtschneidert. Bürgerbeleidigung pur Das alles versteht die Sprecherin der Wiener Grünen offenbar unter BürgerInnen-Beteiligung und Demokratie, was an sich schon grober Unfug ist, denn das Eine ist wesentlich im Anderen enthalten. Auch plakative Tautologien sind eine Form des Populismus‘. Sie täuschen mehr vor, als tatsächlich da ist. Abgesehen davon, dass sowohl Bürgerbeteiligung wie Demokratie auf das nicht ergebnisoffene Verhalten passen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Mit welcher Einstellung Kickert dem Partizipationsgedanken gegenübersteht, lässt sich an ihrem Wording ablesen: … „ergebnisoffen“, ist in solchen Prozessen eine zu hohe Erwartung. Man kann sehr viel beeinflussen, aber man kann es kaum mehr abdrehen.“ Prozesse, mit denen man ein Projekt ausarbeitet, kann die Bevölkerung mitgestalten, sie billigend zur Kenntnis nehmen oder aber, wenn sie auf massive Ablehnung stoßen, aussetzen oder abbrechen. „Abdrehen“ dagegen kann man einen Schalter oder zu Wasser mit einem Schiff. Prozesse „abdrehen“ impliziert machtberauschte, präpotente Potentaten, die mit demokratischer Bürgerbeteiligung nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Schwer begreifbare Logik Kickert fügt hinzu: „Weil sonst wäre es ja kein Projekt, wenn es nicht schon im Sinne der Stadtentwicklung wäre. Diese Logik ist sehr schwer begreifbar zu machen.“ Ein wahres Wort: um diese Logik zu begreifen, muss man wissen, wie die langjährige Wiener Planungspraxis aussieht. Das „Sie wünschen, wir widmen“ wurde vom „Sie zahlen, wir widmen“ abgelöst. Womit weder gesagt ist, wem, noch wie viel gezahlt werden muss. Logisch schwieriger ist nur zu begreifen, was diese Praxis mit demokratischer Bürgerbeteiligung zu tun haben soll. Traurige Realität Das Fazit: wer sich in Wien mehr Bürgerbeteiligung erwartet haben sollte, wird noch lange darauf warten. Ob sie unter anderen parteipolitischen Vorzeichen eher zu erwarten ist, bleibt dahingestellt. Sicher ist: unter Rot-Grün kann man sie jedenfalls abbuchen. Dafür, dass Kickert dies klar und unmissverständlich artikuliert hat, sollte man ihr direkt dankbar sein, auch wenn es freudvollere Erkenntnisse gibt. Helmut Hofmann |