AKT!ON 21

1986: Tschernobyl. 2011: Fukushima.


Sonntag, 10. April 2016

Leben mit der Katastrophe

Welch traurige Jahrestage begehen wir in diesen Tagen! Beide Katastrophen begannen im Frühjahr, wenn alles von der Winterstarre erwacht und ein neuer Lebenszyklus beginnt; in Tschernobyl entgleist ein Test; in Fukushima reißt eine Flutwelle 18.500 Menschen in den Tod und lässt durch unzureichende Sicherheitsmaßnahmen die Brennelemente im dortigen Atomkraftwerk schmelzen. Bei beiden Atomkraftwerken war, allem Anschein nach, alles in Ordnung; die Atomkraftwerke im ständig erdbebengeschüttelten Japan galten als besonders sicher: Da sie in einem besonders gefährdeten Gebiet stehen, müssen sie natürlich auch besonders gut gesichert sein!
Bis sich herausstellte, dass menschliche Unzulänglichkeit, hier mangelnde Aufmerksamkeit und Sorgfalt eine weltweite Katastrophe auslösen kann. Denn beide Katastrophen betreffen unsere gesamte Erde.

Nach der Katastrophe von Tschernobyl, die die erste war, die uns tatsächlich naheging (allerdings bei weitem nicht die erste überhaupt), weil die Radioaktivität auf unsere Köpfe niederregnete, waren die Reaktionen der Zuständigen, wenig verwunderlich, erschreckend unprofessionell: Die Katastrophe wurde erst publik gemacht, als der Maiaufmarsch erfolgreich vorüber war. Da auch die Verantwortlichen ahnungslos hinsichtlich der Gefahr und angemessener Schutzmaßnahmen waren, sprangen Zeitungen und Zeitschriften mit Informationsbroschüren und sogar mit einem Buch ein (Stefan Gergely, damals profil-Redakteur: „Strahlengefahr“, in den Buchhandlungen bereits fünf Wochen nach Beginn der Katastrophe, um der Bevölkerung möglichst schnell handfeste und brauchbare Informationen und Verhaltens-Empfehlungen zur Verfügung zu stellen).

Wir wurden im Unklaren gelassen, es wurde verharmlost, wir wurden belogen und in die Irre geführt, von sämtlichen Verantwortlichen, also von Politikern und Atomkraftwerks-Betreibern.

25 Jahre später:
Wir erfuhren sehr schnell von der Katastrophe. Das ist der wesentliche Unterschied zu 1986. Der Rest: Haben wir schon erlebt. Wir werden im Unklaren gelassen, es wird verharmlost und in die Irre geführt, von sämtlichen Verantwortlichen. Diesmal in erster Linie von den Funktionären des Kraftwerksbetreibers Tepco, weil die nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern sogar ihre eigene Regierung belogen (!).

Als Reaktion auf diese weitere Katastrophe beschloss die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch im Hinblick auf drohende Wahlverluste, Deutschlands Atomkraftwerke zu schließen. EU-weit war der Schock über die Ereignisse in Japan sogar so groß, dass die Atomreaktoren in der EU, in der Schweiz, in Kroatien und in der Ukraine ohne nennenswerte Widerstände der Kraftwerksbetreiber sogenannten „Stresstests“ unterzogen werden konnten, um allfällige Schwachstellen aufzuzeigen; besonderes Augenmerk wurde erstmals auf kombinierte Umwelteinflüsse gelegt: Erdbeben und Überflutung z.B.; außerdem war (seit 2001) noch ein Faktor zu berücksichtigen: terroristische Angriffe. Erinnert sich noch jemand an die Ergebnisse dieser Tests? Keiner der getesteten Atomreaktoren erfüllte alle Sicherheits-Anforderungen. Kein einziger!

Von den rund 600.000 Liquidatoren, also denjenigen Männern und Frauen, die unter für uns unvorstellbaren Bedingungen tagelang Sand und Beton auf die Überreste des explodierten Reaktors häuften, dann einen provisorischen Sarkophag über der Ruine bauten und damit eine viel schlimmere Verseuchung Europas verhinderten, sind die allermeisten schon gestorben; einige innerhalb weniger Tage direkt vor Ort an der entsetzlichsten Form der Strahlenkrankheit: Das ist, wenn durch die extreme Strahlung der Organismus als Ganzes innerhalb kürzester Zeit zusammenbricht: unkontrollierte äußere und innere Blutungen, zerstörtes Knochenmark, Kreislaufversagen, Koma, Tod. Die meisten starben nach und nach an den Folgen der Strahlung: viele an Krebs, viele nach jahrelangen Herzleiden, verschiedenen Krankheiten der Schilddrüse, Stoffwechsel-Störungen; viele haben auch die Depressionen nicht mehr ertragen und Selbstmord begangen. Wenige von ihnen sind als Liquidatoren anerkannt; damit verbunden ist nämlich eine Pension. Die meisten müssen sehen, dass sie irgendwie anders zurechtkommen.

Die Gebiete rund um Tschernobyl, dort, wo diese unsichtbare Verseuchung am stärksten ist, sind weitgehend menschenleer. Ein paar wenige Sturköpfe und alte Menschen bleiben dort, weil sie von ihrem Zuhause nicht weg wollen.
Außerhalb dieses „Ringes“ sind viele Menschen krank. Am meisten betroffen sind diejenigen, deren Immunsystem nicht sehr ausgeprägt ist: Besonders Kinder haben Krebs und Herzfehler (oft kommen sie sogar schon mit diesen Krankheiten auf die Welt!), auffallend viele Kinder haben Diabetes. Viele kommen missgestaltet zur Welt. Erschwerend kommt hinzu, dass weder die Ukraine noch Weißrussland Sozialstaaten nach unserem Verständnis sind und die Menschen deshalb medizinisch bei weitem nicht ausreichend versorgt sind, und dass die Regierung die Konsequenzen aus der Katastrophe schlicht nicht zur Kenntnis nimmt, weil das ein entschlossenes Handeln notwendig machen würde, und dafür fehlt offenbar der politische Wille, vielleicht auch die Mittel. Außerdem gibt es viel Schwerindustrie in diesen Gebieten, die Luft ist rußig und das Wasser und der Boden sind zusätzlich mit Schwermetallen belastet.
Für diese Menschen ist die Katastrophe nicht vorbei. Sie sind mittendrin. Die unter 30jährigen kennen gar nichts anderes. Dieser Alptraum ist für sie die Normalität.

Aus Japan hört man noch sehr wenig über gesundheitliche Auswirkungen der Katastrophe. Aber das kommt noch.
Wir können uns dort in Tschernobyl anschauen, wie es bei uns sein wird, wenn einer der ca. 30 Atomreaktoren innerhalb von 200 km rund um Österreich explodiert. In den letzten 30 Jahren haben wir zweimal Glück gehabt. Wir haben von Tschernobyl zwar sehr viel Radioaktivität abbekommen, aber es hat nicht zur Unbewohnbarkeit Österreichs geführt. Und die Katastrophe in Japan, die vor fünf Jahren begonnen hat, ist noch viel weiter entfernt als Tschernobyl.
Aber die nächste Katastrophe kommt. Das ist sicher. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einem der Atomreaktoren rund um Österreich passiert, ist beunruhigend hoch. Leider kann man nicht behaupten, dass alles getan wird, um diese Wahrscheinlichkeit so gering wie möglich zu halten:
  • In Mochovce/Slowakei werden zwei Halbfertig-Atomreaktoren nach 20jährigem Baustopp fertiggebaut: schon jetzt verwittertes Material, veraltete Technologie. Kein Volldruck-Containment, das im Ernstfall das radioaktive Material zurückhalten könnte.
  • Im Atomkraftwerk in Temelín/Tschechien wurde entdeckt, dass Diagnose-Röntgenbilder von Schweißnähten manipuliert und Sicherheits-Zertifikate gefälscht worden waren. Dasselbe im Atomkraftwerk Dukovany (das hat übrigens auch kein Volldruck-Containment, wie die Atomreaktoren in Mochovce). Wie ist so etwas möglich?
  • In Tihange/Belgien haben die Reaktor-Druckbehälter tausende Risse, wie anlässlich der Stresstests bekannt wurde. Reparatur unmöglich oder unwirtschaftlich. Sie werden aber trotzdem wieder hochgefahren. Meldung vom 25. 3. 2016: Die Terroristen von Brüssel haben offensichtlich das AKW Tihange ausspioniert. Wahrscheinlich war ein terroristischer Angriff geplant.
  • In Leibstadt/Schweiz hat man im Jahr 2008 Löcher in die Stahlwand der Primär-Sicherheitshülle gebohrt, die den Reaktor-Druckbehälter umschließt, um Handfeuerlöscher daran aufzuhängen (!!!); 2014 hat man das Malheur entdeckt (!!!).
  • In Bohunice/Slowakei sollen zwei neue Atomreaktoren gebaut werden; eine Umweltverträglichkeitsprüfung beginnt, wie vorgesehen, aber es ist für die Parteien in diesem Verfahren nicht möglich, die Situation zu beurteilen, weil der Betreiber den geplanten Reaktortyp nicht bekanntgibt (!) und keine Angaben zu externen Ereignissen und ihren Auswirkungen macht. Das alles mit Billigung des slowakischen Umweltministeriums (!!). Die Betreiber zeigen fehlende Erfahrung und technisches Unwissen bei den Fragen aus der Bevölkerung. Mit anderen Worten: Gesetzliche Rahmenbedingungen und die Rechte von Parteien in diesem Verfahren werden schlicht ignoriert, die Verantwortlichen wirken inkompetent und nicht vertrauenswürdig.
  • Die große Zeit der AKW-Neubauten ist, auch aufgrund immer strengerer Sicherheitsvorschriften, vorbei. Deshalb versucht man auch in der EU, die bereits genehmigten und laufenden AKWs möglichst lange in Betrieb zu halten, was dazu führt, dass sie immer älter werden: Das durchschnittliche Alter der europäischen Reaktoren liegt bei 30,6 Jahren, wobei mehr als die Hälfte aller Reaktoren seit über 31 Jahren in Betrieb ist. Das heißt aber, dass für jeden Atomreaktor nur die gesetzlichen Sicherheitsvorschriften zum Zeitpunkt der Genehmigung gelten: also sehr veraltete, die keinesfalls dem heutigen Wissens- und Erfahrungsstand entsprechen und dementsprechend mangelhaft sind. Dazu kommt das Risiko durch veraltete Technik und versprödetes Material, weil Radioaktivität das Material schneller altern lässt.
Das sind ein paar Beispiele dafür, was sich in Europa abspielt.

Die Wiener Plattform Atomkraftfrei fordert: Setzt dem Wahnsinn ein Ende! Schaltet alle Atomkraftwerke ab! Atomkraft ist kriminell! Und die AKW-Betreiber müssen für alle Folgekosten geradestehen!
Text: Joschi Arbeithuber für die „Wiener Plattform Atomkraftfrei“
Atomkraftwerke 
von Herta Wessely am 2016-04-12 um 21:39 Uhr
In diesem Zusammenhang soll auch noch auf die große Gefahr für das Wiener Trinkwasser im Falle eines Atomunfalls bei einem unserer Nachbar hingewiesen werden.
Das kostbare Hochquellwasser, das Wien zur Verfügung steht, wäre nicht mehr trinkbar und die Millionenstadt ohne Wasser.
Wien verfügt aber über einen ein großes Trinkwasserreservoir, das man hüten sollte wie einen Schatz.
Dies ist ein schwerwiegender, wichtiger weiterer Grund, der gegen einen Autotunnel unter der Lobau spricht, denn dort befindet sich diese kostbare Trinkwasserreserve..