Montag, 12. Oktober 2015
Im antiken Griechenland gab es die weise Regel, einstimmige Todesurteile auszusetzen, weil ihnen der Verdacht der emotiven Beeinflussung, der darauf zurückzuführenden Unbesonnenheit und der damit möglicherweise verbundenen Ungerechtigkeit anhaftete.Dazu fällt einem heutzutage manche Vorverurteilung durch die veröffentlichte Meinung ein. Die „Einstimmigkeit“ der medialen Kommentare über einen nicht ganz unverständlichen Farbwechsel von Ursula Stenzel macht betroffen. Wie rasch und geräuschlos wurde doch dagegen der Wechsel Akilics von den Grünen zur SPÖ entsorgt, durch den eine demokratische Entscheidung über ein demokratisches Recht verhindert wurde. Wie viel anders stellt sich der „Wechsel“ Stenzels zur FPÖ dar! Kaum dass sie ihr und den Bürgern und Bürgerinnen, für deren Interessen sie sich einzusetzen versprochen hatte, den Erhalt der Mehrheit im Ersten verdanken durfte, hat die Bezirks-ÖVP mit tatkräftiger SP-Unterstützung begonnen, sie mit sehr zweifelhaften Methoden an- und abzusägen und nun schlussendlich. kalt abzuservieren. In Wort UND Tat für Bürgerbeteiligung Heute wird in einigen Medien von der Meute ihrer politischen Gegner von links und rechts über die „abgehobene, boboeske Citydame“ geätzt. Sie vergisst, dass sich Stenzel schon kurz nach ihrem Amtsantritt öffentlich auf die Seite jener gar nicht abgehobenen Bürger gestellt hat, die gegen die Tiefgaragen statt Plätzen und Parks gekämpft hatten. Dabei hat sie auch damals den nun kritisierten Weg ins Bacherpark-„Bierzelt“ der damals noch von einsamen Grünpolitikern unterstützten Initiativen – nicht mit leeren Händen und Worten – gefunden. Ebenso verhielt sie sich beim Neuen Markt und beim Luegerplatz, wo sie aber vom Zusammenspiel von SPÖ und ihrer eigenen Partei zunehmend ausgebremst wurde. Dass sich die Grünen seit ihrer SP-Koalition diesem altkoalitionären Duo angeschlossen hatten, ließ der von ihrer eigenen undankbaren Partei abmontierten Bezirksvorsteherin nur noch zwei Optionen: entweder zu schlucken und mit dem schlechten Gewissen aller feigen und schwachen Politiker lautlos zu verschwinden, oder aber ihrer Demontage zu trotzen und Haltung zu zeigen. Schließlich hatte sie, mit dem Rückhalt beim Wähler, keinen politischen Anlass, zurückzutreten. Standfestigkeit scheint aber in ihrer Lage derzeit nur zusammen mit einem Partner möglich, der ihr Parteiorganisation und Wahlkampffinanzierung abnimmt. Niessl ging, sogar als Wahlverlierer, einen ähnlichen Weg, ohne dass er vorher von der SPÖ hinausgeschmissen worden wäre. Die SP-Granden beeilten sich ihm zu versichern, sie würden sich in seine Entscheidung nicht einmischen. Schamlose Diskriminierung Ganz besonders ekelt es dabei vor jenen Stimmen, die meinen, mit 70 sei es für eine Politikerin Zeit abzutreten. Abgesehen davon, dass solche Äußerungen wenig Taktgefühl zeigen, sind sie so etwas von altersdiskriminierend und menschenverachtend, dass man sich über die Zungenspaltung derer, die solchen Wortspenden Ausdruck verleihen, nur bass wundern kann. Und dass man auf die vielen Stimmen der Betagten im Ersten so ganz und gar „vergisst“, könnte sich bei den bevorstehenden Wahlen für die ÖVP als fatal erweisen. Was wohl Herr Dr. Khol dazu sagt? Ich bin ziemlich sicher, dass Stenzel und FPÖ auf Dauer nicht glücklich werden, sonst wäre sie ja schon längst dort gelandet. Sie wird auch wegen ihres Leidens, das sie mit anderen hochrangigen Politikerinnen und Politikern aller etablierten Couleurs teilt, kein Turm in der Politschlacht kommender Jahre sein können. Aber für die ÖVP wird es ein Denkzettel werden, dass sie den ihr gewohnten Umgang mit treu gedienten Parteisoldaten nicht bei Quereinsteigern versuchen sollten, die genau jenes Politikerformat haben, dessetwegen die Partei eine Ursula Stenzel seinerzeit zu Hilfe gerufen hatte. Vielleicht sollten die Masterminds der ÖVP die Sage vom Rattenfänger einmal ganz lesen und nicht nur die Überschrift. Helmut Hofmann |