Dank an Herr Dr. Hofmann für die Sachverhaltsdarstellung und u.a. Mail an die GRÜNE Gemeinderätin Dr. Jennifer Kickert, zuständig für Bürgerbeteiligung:
http://www.steinhof-erhalten.at/Stellung...
Von:
Helmut Hofmann
An:
jennifer.kickert@gruene.at
Thema:
Bürgerversammlungen gem. § 104 c der Wiener Stadtverfassung
Datum:
Freitag, 07. März 2014 12:02:19
Sehr geehrte Frau Dr. Kickert,
Herr Hadinger hat mich von jener Passage Ihres an ihn gerichteten Mails in Kenntnisgesetzt, der sich mit der Bürgerversammlung gemäß § 104 c der Wiener
Stadtverfassung befasst. Ohne daher auf den übrigen Teil des Mails einzugehen, wofür es mir an der Kenntnis der entsprechenden Detailfragen mangelt, möchte ich in meiner Fassungslosigkeit über die Ausführungen einer für Fragen der Partizipation zuständigen Abgeordneten der Wiener Grünen versuchen, die Dinge ins Lot zu bringen.
Zum Vorwurf der „Bürgerversammlung auf Raten“ behaupten Sie, dass § 104 c der
Wiener Stadtverfassung „hauptsächlich“ normiere, wozu eine Bürgerversammlung
dienen solle und unter welchen Voraussetzungen sie abzuhalten sei.
Nach meiner Auffassung normiert Abs. 1 die generelle Möglichkeit der Abhaltung von Bürgerversammlungen und deren (ausschließlichen) Zweck.
Die Absätze 2 und 3 regeln dagegen jene Fälle, in denen eine Bürgerversammlung zwingend abzuhalten ist.
Absatz 4 regelt schließlich regelt die Einberufung und Leitung und fordert die
öffentliche Auflage von Unterlagen.
Aus dem Wortlaut des Abs. 1 („können“) geht hervor, dass an die Gestaltung von
Bürgerversammlungen, die nicht der zwingenden Regelung der Abs.2 und 3
unterliegen, durch die Bezirksvorstehung (unter Beachtung ihres Zwecks und der
Ausführungsvorschrift des Abs. 4) andere Maßstäbe angelegt werden können als
an die Gestaltung obligater Versammlungen. Dies betrifft insbesondere die
Auslegung des Versammlungsbegriffs. Während es der Bezirksvorstehung in dem
einen Fall freigestellt ist, beliebig viele Versammlungen zu verschiedenen Zeiten
oder Orten abzuhalten, trifft dies für obligate Bürgerversammlungen, deren Anzahl
durch den 2. Satz des Abs.2 § 104 c Wiener Stadtverfassung gesetzlich
eingeschränkt ist, keinesfalls zu. Überdies wirft der von Ihnen verwendete Begriff
„hauptsächlich“ die Frage auf, welche Regelungen im § 104 c noch enthalten sein
könnten; ich jedenfalls sehe keine.
Keinesfalls kann aber aus dem Fehlen von spezifischen Regelungen für die
organisatorische Durchführung von Bürgerversammlungen im § 104 c der Wiener
Stadtverfassung abgeleitet werden, dass jede darin nicht ausdrücklich geregelte
Vorgangsweise bei obligaten Bürgerversammlungen im freien Ermessen der
Bezirksvorstehung stehe. Eine Surrogierung des Versammlungsbegriffes, der eine
gleichzeitige Präsenz an demselben Ort voraussetzt, durch eine „organisatorische“
Aufteilung in mehrere Versammlungen widerspricht den für die gesamte
österreichische Rechtsordnung gültigen Auslegungsregeln des § 6 ABGB, nach denen ein Gesetz aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers auszulegen ist. Das bedeutet, dass das Wort „Versammlung“ im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen des § 104 c, insbesondere des 2. Satzes des Abs. 2, nicht als Mehrheit von Ereignissen, sondern als ein singuläres Ereignis (und nicht etwa als Bezeichnung für eine Personenmehrheit wie „Nationalversammlung“) aufzufassen ist. Würde man eine Mehrheit von - wenn auch inhaltlich zusammenhängenden - Ereignissen als „Versammlung“ ansehen können, wären der Aufspaltung in beliebig viele Einzelereignisse keinerlei Grenzen gesetzt und der Versammlungsbegriff damit ad absurdum geführt.
Dass dies nicht nur eine rechtswissenschaftliche Haarspalterei ist, sondern auch einen eminenten politischen Sinn verkörpert, geht aus dem Zweck der Bürgerversammlung hervor.
Information und Diskussion über Angelegenheiten des öffentlichen Interesses
sind unentbehrliche Elemente einer funktionierenden Demokratie. Insbesondere in
Gemeinschaften, in denen die politische Letztverantwortung gewählten Abgeordneten anvertraut ist, kommt der vollen und ungeteilten Information sowie der Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung aller und vor allen eine grundlegende Bedeutung zu. Diese Möglichkeit durch das altrömische „Teile und Herrsche“ zu unterlaufen, kleinere Gruppen in der Hoffnung zu bilden, sie einfacher manipulieren und dabei den Informationsfluss gezielt steuern zu können, ist vom Verfassungsgesetzgeber nach dem Wortsinn des 104 c der Wiener Stadtverfassung ganz und gar nicht beabsichtigt.
Das Angebot weiterer Versammlungstermine, wie löblich auch immer es vielleicht
gemeint sein mag, vermag daher die verfassungskonforme Abhaltung einer
Bürgerversammlung nicht zu ersetzen. Diese Versammlung schuldet die
Bezirksvorstehung den Bürgerinnen und Bürgern und der Bezirksvertretung übrigens nach wie vor. Dabei ist klarzustellen, dass es sich bei der Erfüllung der
Einberufungspflicht nicht um, wie Sie meinen, Zuvorkommen, sondern um
Pflichterfüllung handelt. Die Bezeichnung „Zuvorkommen“ war in diesem
Zusammenhang vielleicht in Zeiten der absoluten Monarchie oder der Diktatur
passend, nicht aber in einem demokratischen Rechtsstaat.
Mit der Bezeichnung „des größten Saales IM BEZIRK“ bringen Sie ein Argument ins Spiel, dem im Zusammenhang mit Bürgerversammlungen gemäß § 104 c der Wiener Stadtverfassung keinerlei Bedeutung zukommt. Der erwähnten Rechtsnorm ist keinerlei Beschränkung des Versammlungsortes auf einen bestimmten Bezirk zu entnehmen.
Der Wahl eines im Bezirk gelegenen Ortes kommt lediglich praktische Bedeutung zu.
Die Verlegung der Versammlung auf einen für die Bürger des betroffenen Bezirks
entlegenen und schwer erreichbaren Ort wird dann, wenn ein näherer Ort in Frage
kommt, als ungenügende Pflichterfüllung zu qualifizieren sein. Davon kann aber im
vorliegenden Fall keine Rede sein. Die Verantwortung der Frau Bezirksvorsteherin,
große Räume wie die Stadthalle oder das Rathaus bekomme man nicht so schnell,
impliziert, dass ihr die rechtliche Möglichkeit, die Versammlung in einem anderen
Bezirk abzuhalten, sehr wohl bewusst gewesen ist. Abgesehen davon, dass Rathaus und Stadthalle nicht die einzigen Räume sind, die in Frage kämen, wäre statt einer vagen Ausflucht die Angabe der jeweils nächsten freien Termine in allen dafür in Frage kommenden Räumlichkeiten korrekt und auch objektiv überprüfbar gewesen. Die Entscheidung für den tatsächlichen Versammlungsort kann daher nur damit motiviert werden, die Zahl der Versammlungsteilnehmer gezielt niedrig zu halten, um der Meinungs- und Willenskundgebung der teilnehmenden Bevölkerung so weit wie möglich die Spitze zu nehmen. Dazu passt auch die Vergabe von Zutrittsberechtigungen nach eigenmächtig von der Bezirksverwaltung festgelegten Kriterien, die - vor Korrektur im Sinne der größten Bürgerinitiative - zunächst nach zeitlicher Priorität der Anmeldung bei – je nach Herkunft - unterschiedlichen Zeitpunkten für den Beginn der Anmeldungsmöglichkeit in einer nicht nachvollziehbaren, intransparenten Art und Weise angelaufen ist.
Ein solches Handeln widerspricht dem Sinn der Bürgerversammlung nach § 104 c der Wiener Stadtverfassung und ist auf das schärfste zu verurteilen.
Der 2. Satz des Abs. 4 § 104 c der Wiener Stadtverfassung lautet: „Allfällige
Unterlagen sind mindestens zwei Wochen vor Abhaltung der Bürgerversammlung zur öffentlichen Einsicht aufzulegen.“ Anstatt schlicht und einfach einzugestehen, dass diese Anforderung nicht erfüllt wurde, erwähnen Sie zunächst ältere Dokumente, die zwar nicht „zur öffentlichen Einsicht aufgelegt“ wurden, aber in diversen Medien der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Abgesehen davon, dass dies nicht eine „Auflage zur öffentlichen Einsicht“ darstellt, weil dem eine solche Einsicht Begehrenden nicht einmal die zusammenhängende Existenz dieser Unterlagen bewusst gemacht wurde, wurde der Abschlussbericht der Entwicklungsplanung, also die wesentliche Unterlage schlechthin, überhaupt nicht zur öffentlichen Einsicht aufgelegt. An diesem selbst von Ihnen zugegebenen Umstand ändert auch die ebenfalls von Ihnen erwähnte Tatsache nichts, dass dieser Bericht am 22.1. noch nicht (einmal) als Download verfügbar gewesen war. Auch in diesem Punkt handelt es sich um eine bewusste Verletzung der Wiener Stadtverfassung. Ihre Erwähnung, derzufolge die Ergebnisse an Informationsabenden am 9. und 10.1. präsentiert und ausführlich erläutert wurden und die wesentlichsten Punkte auf der Internetseite der Stadt Wien zusammengefasst sind, kann daher nicht als Entschuldigung für diese Verletzung angesehen werden, sondern verdichtet höchstens den Verdacht, dass man der Bürgerversammlung die ganze Wahrheit gezielt vorenthalten wollte.
Dem in diesem Zusammenhang von Herrn Ing. Gerhard Hadinger angestellten
Vergleich mit Nordkorea stimme ich nicht zu, weil mir dazu die genaue Kenntnis der Verhältnisse in diesem Land fehlt und ich mir nicht aufgrund von Medienberichten ein derart einschneidendes Urteil anmaße. Wenn damit gemeint sein sollte, dass es in manchen Ländern üblich ist, die Verfassung als lästiges Übel anzusehen und sich dann, wenn es den Regierenden unbequem ist, sich einfach nicht an sie zu halten, dann genügt wohl der absolut nicht polemische Hinweis darauf, dass bedauerlicherweise auch Österreich zu diesen Ländern zählt und, was ich dabei für besonders bedauerlich halte, die Einsicht in die Unrechtmäßigkeit eines solchen Verhaltens bei den dafür Verantwortlichen endenwollend ist.
Bürgerversammlungen gemäß § 104 c der Wiener Stadtverfassung zählen zu den
wenigen partizipativen Elementen, die in der Wiener Stadtverfassung verankert
sind. Umso sorgfältiger sollte mit ihnen umgegangen werden, wenn man
Partizipation nach all dem, wie bisher in Wien damit umgegangen wurde,
überhaupt noch ernst nehmen soll.
Ein sorgloser Umgang mit den Grundelementen der Demokratie in Zeiten, in denen in vielen Ländern der Erde ein derartiges Verhalten zu wüsten Reaktionen einer sich genarrt fühlenden Bevölkerung führt, zeugt von einer beängstigend unsensiblen politischen Einstellung gegenüber einer bereits weltweiten Problematik.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Hofmann