Donnerstag, 16. Jänner 2014
Was die Regel sein sollte, genießt in Wien ohnedies Ausnahmecharakter mit Seltenheitswert. Die Rede ist vom schwächsten aller Beteiligungsinstrumente, der Bürgerversammlung. Sie kann „zur Information und Diskussion über Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes gelegen sind,“ abgehalten werden, wenn sie die Bezirksvertretung beschließt oder mindestens ein Fünftel der Mitglieder der Bezirksvertretung dies verlangt. Die Bürgerversammlung ist vom Bezirksvorsteher oder einem von ihm beauftragten Mitglied der Bezirksvertretung einzuberufen und zu leiten. Allfällige Unterlagen sind mindestens zwei Wochen vor Abhaltung der Bürgerversammlung zur öffentlichen Einsicht aufzulegen. Missbrauch sind Tür und Tor geöffnet Weitere Regelungen, insbesondere innerhalb welcher Frist die Bürgerversammlung einzuberufen ist, wie die Bevölkerung darüber zu informieren und wie die Teilnahme daran abzuschätzen und für eine entsprechende Lokalität zu sorgen ist, gibt es nicht. Besondere Sanktionen für eine Missachtung dieses Rechtes durch den Bezirksvorsteher sind ebenfalls nicht vorgesehen. Auf gut Deutsch: der Bezirksvorsteher kann mit der Verpflichtung zur Abhaltung nach freiem Ermessen umspringen – sofern ihm die Bezirksvertretungsmehrheit die Mauer macht. Zu welchen Missständen es dabei kommen kann, wird der Wiener Bevölkerung soeben am Steinhof vorexerziert. Vorsorge für Bürgerversammlungen? Der mit über 60.000 Unterschriften größten Bürgerinitiative, die es in Wien je gab, wird für eine Bürgerversammlung ein Saal mit 300 (in Worten: dreihundert) Personen Fassungsraum geboten. Wir befinden uns im 14. Wiener Gemeindebezirk, und der, so die Bezirksvorsteherin, hat ihrer Meinung nach keinen größeren Saal. Allerdings steht nirgends geschrieben, dass die Versammlung auf Bezirksboden abgehalten werden muss. Hallen im Nachbarbezirk – die Stadthalle ist ja von der Bezirksgrenze nicht weit entfernt - könnten dafür ebenso gut herangezogen werden. Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass man in jedem Bezirk für einen ausreichend dimensionierten Raum sozusagen permanent vorgesorgt hat. Schließlich handelt es sich ja um eine in der Stadtverfassung vorgesehene Bürgerversammlung, die man nicht irgendwie provisorisch arrangieren kann, damit das Kind einen Namen hat. Unglaubliche Vorgänge Was sich im Zusammenhang mit den „Platzreservierungen“ abgespielt hat, ist eine demokratiepolitische Peinlichkeit sondergleichen und spottet jeder Beschreibung. Um einer Besetzung durch von politischen Parteien aufgebotenen Initiativengegnern vorzubeugen, wollten die Bürgerinitiativen die Reservierung von Zutrittskarten-Kontingenten für Bürgerinitiativen durchsetzen. Dies wurde aber von der Bezirksverwaltung durch die vorherige Berücksichtigung telefonischer Einzelplatzbestellungen, teils unter dem Namen in der Öffentlichkeit unbekannter Initiativen wie BI Cordon und BI Bahnhof Penzing unterlaufen. Ein Ausschnitt aus einem telefonischen Anruf der Bezirksverwaltung bzw. Bezirksvorsteherin bei einer Initiativenvertreterin führt zum Verdacht der Manipulation eines verfassungsmäßig garantierten Beteiligungsinstruments: ------------------------------------------ Gestern (Dienstag 14.Jänner 2014) um ca. 10.15 h läutete unser Festnetz-Telefon (!); es war ein Herr Ent( (BV Penzing). Er solle anrufen, habe ihm die Frau Bezirksvorsteherin aufgetragen. "Alle Zählkarten sind bereits vergeben." Es waren so viele Einzelpersonen, dass für Bürgerinitiativen wenig übrig blieb. Frage: wann haben die Einzelpersonen die Zählkarten bestellt ? A: (Hr. Ent redete herum; sprach von "Montag, Dienstag" ... Frage: Montag, welches Datum ? A: der 9.te .. Es ist in der Zeitung gestanden, dass ... Deshalb haben das so viele Leute schon gewusst ... Frage: in welcher Zeitung ? A: das weiß ich nicht; zwei BIs haben gesagt, es hat "einen Artikel" gegeben (in welchem die Info betr. Zählkarten enthalten war). Frage: das Wort "Zeitung" ist also nicht gefallen ? Sondern nur das Wort "Artikel" ? A: Ja, nur "Artikel". Frage: wissen Sie noch, welche BIs das waren ? A: die BI Kordon und die BI Bahnhof ... Die haben nur je 2 Karten bekommen; mehr waren nicht. Frage: also am MO, den 9.ten Jänner ? Sind Sie sicher ? A: Nein, das war am FR 10.Jänner. Da waren 206 Karten schon weg. (an Einzelpersonen) Frage: es haben wirklich 206 Personen am 9.Jänner i.d. Bezirksvorstehung angerufen ? A: Ja. Ein paar restliche Karten, ungefähr 10, waren gestern in der Früh weg. Da haben noch Leute angerufen. [ Anrufe am 9.,10. und 13.Jänner] Dann Herr Ent "warten Sie, die Frau Bezirksvorsteherin will mit Ihnen sprechen" --> Es meldete sich "Kalchbrenner": "Es ist eine reine Penzinger Info-Veranstaltung". Die volle Anzahl von je 10 Karten haben die drei unmittelbaren BIs bekommen: Hr. Veit, Hr. Hadinger, BI Müllverbrennungsanlage. Frage: das wären also 30 Karten. 206 + 30 sind 236 Karten. Was ist mit den weiteren 64 Karten ? BV Kalchbrenner: "Die sind für die Bezirksräte." Frage: Penzing hat 64 Bezirksräte ? BV Kalchbrenner: Nein, 53. Frage: Warum gelangen von dem Kontingent 300 so viele Zählkarten an die Bezirksräte? BV Kalchbrenner: "Die muss ich zur Verfügung stellen. Allen Fraktionen. Es haben ja auch die Bezirksräte aller Fraktionen einstimmig für die Abhaltung der Bürgerversammlung gestimmt." Frage: 206 + 30 + 53 sind noch immer keine 300 ? BV Kalchbrenner: je 2, statt 10, haben die Bürgerinitiative Kordon und die Bürgerinitiative Bahnhof erhalten. BV Kalchbrenner:" ... es gibt Fraktionen, die dafür und andere, die dagegen sind .. die wollen alle dabei sein" "sobald auch nur einer (Bezirksrat) kommt und seine Karte nicht beansprucht, geben wir sie weiter ..." " ... zehn Leute werden wir auch ohne Karte eine lass´n ...." "meine Anstrengungen - ich bin sehr dahinter - haben gegipfelt in den beiden Info-Tagen, vorige Woche. Darauf wurde auch schon reagiert: die Info-Tage waren in Ordnung." Frage: ... die werden alle, 53, kommen ? BV Kalchbrenner: Manchmal kommen nur 10. Frage: es ist unfair, diese Karten den interessierten Bürgern vorzuenthalten. Wann werden Sie wissen, ob alle 53 Karten von Bezirksräten in Anspruch genommen werden ? BV Kalchbrenner: Die (Bezirksräte) rufen mich 1 Tag vorher an. Und kommen dann auch wirklich. (Nachsatz: Im Gegensatz zu manchen Bürgern.) Meine Aufgabe war es, die Veranstaltung nur für Penzing zu organisieren. Wir haben ja kein eigenes Amtshaus. Ich hätte nur ein Zimmer für 50 Leute zur Verfügung gehabt. So haben wir den größten Saal im Bezirk ... Mir wäre auch lieber ... mehr Platz. Frage: Steinhof ist ein wienweites, sogar österreichweites Thema geworden. BV Kalchbrenner: Ja, deshalb hatten wir ja vorige Woche die Info-Veranstaltung ... Da waren viele Leute da, sogar aus dem Ausland. Es müßte halt ein Antrag auf eine wien-weite Bürgerversammlung gestellt werden ! Frage: wer kann/darf einen solchen stellen ? BV Kalchbrenner: Jede politische Partei. Im Gemeinderat. So wie im Bezirk jede politische Partei einen Antrag einbringen kann. Abschließend: Wir haben eine Warteliste von 50 Personen. Sollten Bezirksräte ihre Zählkarte nicht in Anspruch nehmen, werden wir diese sofort an die Bürger auf der Warteliste weitergeben. Ich bedankte mich, mit dem nachdrücklichen Hinweis "Transparenzmuss sein" ! --------------------------------------------------------------------- Unscharfe Aussagen Beängstigend ist die Unschärfe einiger Aussagen. Nicht jede politische Partei im Gemeinderat, sondern mindestens ein Fünftel der Mitglieder der Bezirksvertretung kann einmal im Jahr eine Bürgerversammlung einberufen. Wenigstens das sollte Frau Bezirksvorsteherin wissen und, wenn sie es weiß, auch so weitergeben. Bürgerversammlungen sind zur Information und Diskussion über Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse eines Bezirkes gelegen sind, abzuhalten. Die Teilnahme ist nicht begrenzt, weder durch Bezirksbürger noch durch Wien-Bürger. Ein Antrag auf eine wienweite Bürgerversammlung ist durch die Stadtverfassung nicht gedeckt. Auch das sollte die Frau Bezirksvorsteherin wissen. Schließlich handelt es sich ja dabei nicht um ein Jausenthema, sondern um ein elementares Bürgerbeteiligungsthema. Besonders entlarvend ist es, wenn die Frau Bezirksvorsteherin bei einem 300 Personen fassenden Saal vom „größten Saal im Bezirk“ spricht. Meines bescheidenen Wissens fasst der Jugendstil-Theatersaal am Steinhof die doppelte Personenzahl. Hat man ihn so verfallen lassen, dass man nicht einmal eine Bürgerversammlung darin abhalten kann? Ist die Bestuhlung abhanden gekommen? Die Beleuchtung? Die Beheizung? Ist für all das kein Ersatz aufzutreiben? Fragen über Fragen. Fast hat es den Anschein, als habe man den Saal verfallen lassen, damit man keine Möglichkeit im Bezirk mehr habe, mehr als 300 Personen zusammenkommen zu lassen. „Machens kann Auflauf.....“ – Metternichs Vormärz lässt grüßen. Bezirksvorstehung als „Verhinderer“ Einen Grund, die Zusammenrottung von 600 protestierenden Bürgerinnen und Bürgern zu verhindern, wird man immer finden. Wenn die Verhinderer aber ausgerechnet den Bürgerinitiativen das Verhinderer-Image umhängen wollen, dann ist das wohl der Gipfelpunkt der Unverfrorenheit. Wir Bürgerinnen und Bürger haben verstanden, Frau Bezirksvorsteherin: Sie müssen, um der Stadtverfassung genüge zu leisten, die Bürgerversammlung abhalten. Wir, die Bevölkerung soll aber von dieser so weit wie möglich ferngehalten werden, damit man den lästigen Akt schließen und sagen kann, es war nichts. Darauf wollen Sie doch hinaus, oder? Sie werden die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Die Bevölkerung von Penzing und darüber hinaus von ganz Wien lässt sich nicht für dumm verkaufen. Sie haben noch ein paar Tage Zeit. Suchen Sie einen ausreichend großen Saal – wo auch immer in dieser Stadt. Am Steinhof wäre der ideale Ort. Nehmen Sie ruhig etwas Geld dafür in die Hand – es kann für Unnötigeres ausgegeben werden. Demokratie kostet etwas, anderswo wissen und sagen Sie das doch ganz genau. Keine Privilegierten! Und merken Sie sich: Bezirksvertreter sind Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen. Die haben kein Vorbezugsrecht. Wenn sie wissen wollen, wie die Bevölkerung denkt, dann haben sie bisher Gelegenheit genug dazu gehabt. Sie können dem Gang der Versammlung auch per Übertragung in einem Nebenraum folgen. Reden können sie ohnedies im Bezirksparlament, wo die Bürger schweigen müssen. Entweder die Bezirksvertreter haben ein besonderes Interesse an der Versammlung, dann können sie anrufen wie jeder andere Bürger auch, oder sie haben eben keines. Wenn ihnen ein Monitor nicht genügt, dann sollen sie ruhig wegbleiben oder gemeinsam mit jenen Einlass begehren, die keine Zählkarten bekommen haben und dennoch dabei sein wollen. Das wäre endlich einmal gelebte Solidarität mit den Wählerinnen und Wählern! Helmut Hofmann |