Donnerstag, 17. Mai 2007
Leo Tolstoi stellte im vorigen Jahrhundert in seiner gleichnamigen Erzählung die Frage: Wieviel Erde braucht der Mensch? Er lieferte auch die Antwort: Wenig.Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Wirtschaftskammer Wien Sparte Handel bei der Frage: Wieviele Einkaufszentren braucht der Bürger? Nämlich wesentlich weniger, als die Einkaufszentrenerrichter derzeit planen. So wird in HANDELSNews, dem Newsletter der Sparte Handel der Wirtschaftskammer Wien (Ausgabe 2 / März - Mai 2007 ) unter dem Titel "Der Krieg der Einkaufszentrenplaner" der derzeitigen Situation und voraussichtlichen künftigen Entwicklung ein ausgesprochen trister Befund erstellt: "Der Wirtschaftsstandort Wien ist ernsthaft in Gefahr, wenn die Entwicklung bei Verkaufsflächen so weitergeht wie bisher. Der Aufschaukelungsprozess zwischen den Projektbetreibern nimmt bereits kriegsähnliche Formen an, gilt es doch offenbar bei gleichbleibender Kaufkraft primär, Umsätze anderer Einkaufszentren zu erobern. Trotz stagnierender Handelsumsätze wachsen die Verkaufsflächen in Einkaufszentren und Fachmärkten weiter. In Wien sind bereits 40 % der vorhandenen Verkaufsflächen alleine in Einkaufszentren und Fachmärkten angesiedelt. Doch dem nicht genug, stehen weitere gigantische Projekte vor der Tür. Großinvestoren entdecken zukünftige U-Bahn-Stationen, an teilweise nicht einmal noch in Bau befindlichen Trassen, Bahnhofsareale, Fabriksruinen und innerstädtische grüne Wiesen als Spielwiese für Ihre Megaprojekte. Größe und Masse beherrschen die Planungen in der Hoffnung, vom nicht größer werdenden Kuchen der Kaufkraft das größte Stück zu erkämpfen. Letztlich ein Kampf in der Art eines Standortkannibalismus, in dem es kaum einen Sieger geben kann, sondern primär Verlierer. Was wir aber alle brauchen, bleibt auf der Strecke: lebendige Innenstädte und belebte Einkaufsstraßen und damit urbane Qualität. Auch der Umwelt zuliebe, wäre ein Umdenken ein Gebot der Stunde. Wer weniger Verkehr will, muss den Handel in der Stadt halten und das fußläufige Einkaufen forcieren. Nur belebte Einkaufsstraßen und beleuchtete Auslagen garantieren auch Sicherheit in der Stadt." Und was meint Obmann Aichinger der Sparte Handel der Wiener Wirtschaftskammer? "Man hat den Eindruck, dass bei den gigantischen Ausmaßen so manchen Projekts jeglicher Realitätssinn verloren gegangen ist und nur mehr das Motto vorherrscht: mit voller Kraft voran, in Richtung zukünftiger Handelsruinen" Und was macht die Wiener Stadtregierung und -verwaltung? Sie tritt der kollektiven Intelligenz von Wiener Handel und Konsumenten mit singulärer "Intelligenz" entgegen, die in Killerphrasen wie vom "teuer subventionierten Schweinsschnitzel" (Marktsprecherin Nurten Yilmaz ) und "Die Leute sollen lieber kaufen als unterschreiben" (so SP-KonsumentInnenstadträtin Sandra Frauenberger in ihrem exquisiten Demokratieverständnis zu den 12.000 Unterschriften gegen die Schließung des Landstrasser Marktes - wohl nach dem Motto "Hände falten, Goschen halten") ihre Entsprechung findet. Marktsprecherin und SP-Landtagsabgeordnete Nurten Yilmaz sagt überhaupt so einiges, wenn der Tag lang ist und die Märkte weniger werden, so zum Beispiel dieses in der aktuellen Stunde der Sitzung des Wiener Landtag vom 30.3.2007: "Die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Wien und der Wirtschaft klappt hervorragend. Die Nahversorgung funktioniert hervorragend". Merkwürdig, dass die Wiener Wirtschaft das offenbar ganz anders sieht. Ob Yilmaz da wirklich mit der Wiener Wirtschaft Kontakt gehabt hat? Subventioniert wird klarerweise nicht "das Schweinsschnitzel", sondern eine abgehobene Stadtverwaltung, die weder mit ihren Bürgern noch mit den Interessensvertretungen der Wirtschaft spricht, sondern letales Marktmanagement betreibt und sich zum Totengräber einer lebendigen, vielfältigen Wiener Wirtschaft macht. Womit wir wieder bei Tolstoi wären. Reinhard Wessely |