AKT!ON 21

Die Eiterbeule


Freitag, 25. Jänner 2013

Reinhard Seiss hat mit seinem Buch „Wien baut Wien“ neue Maßstäbe der Enthüllungsliteratur gesetzt. Nachdem auch die 3. Auflage dieses Meisterwerks vergriffen ist, wird der Bucherfolg ein 4. Mal aufgelegt. Es wird hoffentlich nicht die letzte sein.

Wieso Meisterwerk?


Der Architekt Reinhard Seiss hat Unglaubliches aus dem Wiener Bausumpf aufgezeigt. Unprätentiös, sachlich, kaum durch irgendwelche persönliche Meinungen gefärbt, ohne persönliche Angriffe reiht Seiss einfach Tatsache an Tatsache, Aussage an Aussage. Das, was er berichtet, genügt. Freilich, die Auswahl dieser Tatsachen und Aussagen und der Aufbau der einzelnen Beiträge ist auch eine Aussage, oft sogar eine sehr eindringliche. Genau das ist ja die Kunst, ohne jedwede Polemik den Finger in die Wunden zu legen, welche ein mafioses System und seine Repräsentanten der Moral und dem Anstand geschlagen haben.

Dreifacher Dank und eine Bitte

Die Leser seines Buches sollten Seiss danken, dass er ihnen – selbst dem Naivsten unter ihnen – die Augen geöffnet hat, was in Wien bei Großbauvorhaben an – gelinde gesagt – Seltsamkeiten über die Bühne geht. Die Wienerinnen und Wiener sollten Seiss danken, dass er einen wichtigen Anfang gesetzt hat. Er hat die Gunst der Stunde genützt, er hat – nicht in Wien – einen mutigen Verlag gefunden, all das zu einer Zeit, zu der es noch keine Korruptionsstaatsanwaltschaft gegeben hat, die aber reif dafür war, Schweinereien beim Namen nennen zu können und damit nicht isoliert da zu stehen. Er hat uns eine Eiterbeule in all ihren Details zur Kenntnis gebracht. Doch selbst die dabei an den Pranger Gestellten sollten für den rechtzeitigen Schuss vor den Bug danken, der den Vorsichtigen unter ihnen gewisse Grenzen aufgezeigt hat, die zu überschreiten inzwischen zu einem persönlichen Wagnis geworden ist.
Wenn ein Wunsch gestattet ist: es wäre schön, wenn das Aufzeigen der Skandale seine kritische Fortsetzung erfahren würde und wenn die Kritik der Fortsetzung schon bekannter Skandale laufend ergänzt werden könnte. Wahrscheinlich übersteigt das aber die Möglichkeiten eines Einzelnen.

Nicht wegschauen

Jahrzehntelanges Wegschauen war gestern. Bernhard Lötsch hat richtigerweise gesagt, wir leben in einer Zeit, in der Wegschauen wieder zur Mitschuld wird. Seiss zeigt uns, wo wir hinsehen müssen; die Protagonisten seines Buches sind ja fast alle noch frischfröhlich am Werk. Es liegt an uns, die Vorfälle gut zu studieren, die Großbauprojekte zu beobachten und Ungereimtheiten anzuprangern, wo immer sich eine Möglichkeit dazu bietet. Wer heute noch mit den Achseln zuckt und sagt, „ich kann es eh nicht ändern“, macht sich mitschuldig. Nur wenn alle, die ihre Redlichkeit noch nicht verkauft haben, sich gemeinsam gegen das mafiose System erheben, haben wir eine Chance, unserer Stadt das Attribut „lebenswert“ zu erhalten, bevor den Entscheidungsträgern der Mercer-Studie der Augiasstall bewusst wird. Es darf nämlich bezweifelt werden, dass ausländische Manager nur danach streben, sich in einem solchen Stall mit Äußerlichkeiten zufrieden zu geben und dabei Moral und Anstand hinter sich zu lassen.

H. Hofmann

Aufgeschnappt
Ein hervorragender Kommentar 
von CR am 2013-01-25 um 12:46 Uhr
zu einem herausragenden "Enthüllungs"buch eines wahren Kenners der Wiener "Verhältnisse"!
Ein großartiges Buch und ein großartiger Kommentar! 
von Johanna Kraft am 2013-01-25 um 10:28 Uhr
da das Buch immer "vergriffen" ist, hatte ich schon dern Verdacht, dass die Auflagen vom Wiener Rathaus immer wieder aufgekauft werden, wo kämen wir denn da hin, wenn das "noch mehr Leute" lesen ......