Montag, 21. Jänner 2013
Seit neuestem haben Volksbefragungen Konjunktur. Das wäre ja an sich nichts Schreckliches, im Gegenteil: sinnvolle Befragungen sind ein wichtiges Mittel für die politische Meinungsbildung der Entscheidungsträger in einer repräsentativ-demokratischen Republik wie Österreich.Was allerdings zur Zeit als Beteiligung angepriesen wird, ist erbärmlich. An der Spitze steht eine Befragung über die Alternative Berufsheer oder Wehrpflicht. Auslöser: ein wahltaktischer Überschmäh des Wiener Landeshauptmanns, eines anerkannten Nachfahren der alt-römischen Haruspices, der Vogelflugdeuter, deren Irrtümer dem antiken Rom manch irreversiblen Schaden bereitet hatten. Die Frage, ob solche Befragungen einer politisch immer stärker zutage tretenden Hilflosigkeit zuzuschreiben oder aber als bodenlose Unverschämtheit einzustufen sind, mag jeder für sich beantworten. Entscheidung ohne notwendige Voraussetzungen? Wohlgemerkt: die Entscheidung darüber, ob das Bekenntnis zur Neutralität zeitgemäß sei, ob und welche Verpflichtungen eine solche Neutralität mit sich bringt, ob ein Militär notwendig sei und – bejahendenfalls – mit welchen zeitgemäßen technischen Verteidigungswaffen es ausgestattet werden müsste und wie Landesverteidigung in einem Land mit der Geographie Österreichs wirksam und leistbar nachhaltig zu organisieren wäre, ist von so grundlegender Bedeutung, dass ihre Beantwortung durch eine Ja-nein-Frage zu Berufsheer oder Wehrpflicht ohne Klärung all der erwähnten Vorfragen nichts anderes als sinnlos vergeudete Energie auf Kosten der Allgemeinheit darstellt. Alle, auch eingefleischte Befürworter von mehr Bürgerbeteiligung, sind sich darin einig, dass mit direkter Demokratie sowohl der hohen Kosten als auch des Abnützungseffektes wegen sparsam umgegangen werden sollte. Umso unverständlicher, dass sich die Politik nicht scheut, auf all das keine Rücksicht zu nehmen, wenn man meint, aus einer Thematik Kleingeld für bevorstehende Wahlen gewinnen zu können. Nimmt uns Häupl noch ernst? Fast noch unsinniger ist die zweite Befragungslawine, die uns in Wien bevorsteht. Diesmal geht es zwar nicht um Hundstrümmerln, Hausmeister und eine Citymaut, bei der die Obrigkeit noch nicht vor dem Bruch der Stadtverfassung zurückgeschreckt hat, derzufolge Entgelte (Tarife) nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein können. (Dass man dies bei einer der Stadtregierung nicht genehmen Befragung plötzlich anders sehen würde, konnten die Initiatoren einer von mehr als hunderttausend Wienerinnen und Wienern befürworteten Befragung freilich nicht ahnen.) Davon, dass sich diesmal hinter zwei Fragen zur Parkraumbewirtschaftung, die inhaltlich keine nennenswerte Alternative darstellen, abermals verfassungskonträr Entgelte (was denn sonst bedeutet im Fragenzusammenhang der Terminus „Parkraumregelungen“?) verbergen, sollten einige andere Fragen ablenken, deren Notwendigkeit gleichrangig mit dem berühmten Kropf rangiert: ob sich Wien für olympische Spiele bewerben solle (wurde schon vor 50 Jahren – ohne Befragung – negativ entschieden), oder ob eine (nochmalige?) Privatisierung ohnedies schon über cross-border-leasing veräußerter kommunaler Betriebe unzulässig sei (no na) und ob aber gleichzeitig neue kommunale (Energieversorgungs)betriebe sehr wohl über private (Bürger)Finanzierung ins Leben gerufen werden sollen – Hauptsache, man foppt uns. Wir sind mannigfache Formen der Volksverhöhnung gewöhnt und haben gelernt, mit ihnen zu leben und uns unser Urteil bis zur nächsten Wahl aufzuheben. Wenn aber die Unverschämtheit so weit geht, dass uns derartige „Befragungen“ als „Bürgerbeteiligung“ verkauft werden, dann sind wir genötigt, solchen Unsinn richtig zu stellen, die Demagogie beim Namen zu nennen und darauf zu bestehen, dass unter wahrhaft demokratisch gesinnten Menschen unter Bürgerbeteiligung etwas anderes, etwas ganz anderes verstanden wird. H. Hofmann Aufgeschnappt |