Dienstag, 10. April 2007
So unabhängig, parteilos, parteifrei, überparteilich und unparteiisch können Bürgerinnen und Bürger gar nicht sein, ohne dass diese besondere Form der Vernaderung aus der untersten Schublade geholt und geradezu genüsslich breitgetreten wird. Es ist kaum zu verstehen, dass sich in Wien gerade die stärkste Partei in dieser Spielart des Bürgerkannibalismus besonders hervortut und geradezu reflexartig versucht, einer Menschengruppierung, die nicht so denkt, wie es von der Partei vorgegeben wird, ein Mäntelchen umzuhängen, das man der eigenen Gefolgschaft als Fahne des politischen Gegners und damit als Zielscheibe für faule Verbaleier und Lügentomaten präsentieren kann. Damit hier kein Zweifel aufkommt: besonders hervortun bedeutet nicht, dass die politischen Mitbewerber gegen diese Spielart der Bürgervernaderung resistent wären. Es scheint nur, dass gut durchorganisierte Parteiapparate besonders eifersüchtig darüber wachen, dass Abweichler von der eigenen Parteilinie als Parteifeinde gebrandmarkt und angeprangert werden - und nichts eignet sich dazu besser als die Zuordnung zu einem politischen Gegner. Die Zuordnung zu politischen Lagern hat in unserem Land Tradition. Sie war vor 1938 fester Bestandteil des politischen Lebens und erlebte zwischen 1938 und 1945 eine oft kopierte, aber glücklicherweise nie wieder erreichte traurige Hochblüte. Die konsequente Vergatterung von Parteimitgliedern zu Parteiveranstaltungen, die Ausgrenzung von Mitbürgerinnen und Mitbürgern, welche "der Partei" nicht angehören, die Indoktrinierung derer, die sich dem Einfluss der Partei, sei es im Betrieb, sei es im Wohnblock, nicht entziehen können, hat immer noch System. Wer sich nicht zu einer Partei bekennt (und sei es die eines politischen Mitbewerbers, mit dem man sich, mehr der politischen Not als dem eigenen Triebe gehorchend) arrangiert hat, ist - auch heute noch - suspekt. Nicht zuordnen können heißt, irgendwie unheimlich, politisch unberechenbar - "politisch unzuverlässig" hieß es bei den Nazis - zu sein. Wer solches nicht wahr haben mag, muss solche politisch unberechenbare Elemente in irgend ein parteipolitisches Kastel einordnen, um sie greifbar - angreifbar - zu machen. Dass die Tendenz zu solcher Stigmatisierung in Wien bei den herrschenden Sozialisten besonders ausgeprägt ist, kommt nicht überraschend. Anzuerkennen, dass mündige Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Parteipolitik Beteiligung an kommunalen Prozessen einfordern, heißt für das politische Establishment, einen Teil der errungenen Macht, auf die man sehr stolz ist, an jene abzugeben, für die man sie errungen zu haben vorgibt. Bevor solches passiert, ist es doch einfacher zu behaupten, aufmüpfige Bürgerinnen und Bürger besorgten das Geschäft eines politischen Mitbewerbers. Dass man ein - und dieselben Personen (wie es auch mir ergangen ist) einmal den Schwarzen, dann den Blauen und dann wieder den Grünen zuordnen möchte, je nachdem wie es gerade in den Kram der politischen Wunschvorstellung passt, stört dabei keineswegs. Das besonders perfide daran ist, dass überparteiliche Bürgerbewegungen in der Regel bei der Bevölkerung weit größeres Ansehen genießen als politische Parteien. Die Gründe dafür sind sogar in der Agenda 21 angeführt: Idealismus, Uneigennützigkeit, Opfermut - alles Eigenschaften, die für Funktionäre politischer Parteien nicht ganz so selbstverständlich sind. Dieses Ansehen versucht man natürlich dadurch zu beschädigen, dass man initiative Bürgerinnen und Bürger mit politischen Parteigruppierungen zu verquicken versucht, deren Ansehen aller Propaganda zum Trotz weit geringer ist. Wer es nicht glaubt, sollte einmal die Entwicklung der Wahlenthaltung studieren). Dass es politisch wesentlich klüger wäre, Partizipation als Mittel zur Überwindung dieser Parteien - Krise anzusehen, als initiative Bürgerinnen und Bürger als fünfte Kolonne einer Partei zu denunzieren, beginnt sich unter den politischen Parteien der Bundeshauptstadt langsam herumzusprechen. Vielleicht erreicht der Rundspruch irgendwann auch die Wiener SPÖ; die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Bleibt immer noch die Frage: was ist unter unabhängig, parteilos, parteifrei, überparteilich, oder unparteiisch zu verstehen? Beginnen wir damit, was es nicht ist. Es ist nicht ein totales Abschotten gegenüber politischen Parteien, es ist keine Berührungsangst. Wer in der Kommunalpolitik tätig sein will, und das will schließlich jede Bürgerinitiative, kann dies nicht im parteifreien Raum wollen, den es nicht gibt. Im Gegenteil: man wird versuchen müssen, die politischen Träger der repräsentativen Demokratie für das eigene Anliegen zu gewinnen. Nur wenn alle Parteien dem Gedanken der Partizipation offen und ehrlich positiv gegenüber stehen, kann sich dieser zu einer gemeinsamen Erfolgsstory entwickeln. Freilich: Lippenbekenntnisse helfen da gar nichts. Und damit sind wir auch bei der Gefahr, die überparteiliche Bewegungen stets dann droht, wenn sich eine politische Partei auf ihre Seite schlägt: die Gefahr, für diese Partei vereinnahmt zu werden. Dabei ist es im Prinzip recht einfach, dieser Gefahr nicht zu erliegen: Parteien wollen immer Vieles, im Gegensatz zu Bürgerbeteiligungsbewegungen, die nur ein übergeordnetes Ziel haben: Mitsprache und Einbindung. Sie können in einer, in dieser Sachfrage mit einer Partei übereinstimmen, ohne das übrige Parteiprogramm gutheißen oder ablehnen zu müssen. Sie können in dieser einen Frage jede Unterstützung politischer Parteien – am besten aller Parteien annehmen, wenn sie sich nur nicht zu einer Gegenleistung verpflichten, die eine ideelle oder materielle Unterstützung einer Partei und ihrer Ziele darstellen würde. Für Aktion21 ist dieses Prinzip oberstes Gebot. Aktion21 enthält sich jeglicher Stellungnahme zu den politischen Zielen der Parteien und wahlwerbenden Gruppierungen, selbst jener, die aus bestimmten Bürgerinitiativen heraus entstanden sind. Mit einer Ausnahme: dem Ziel, einer Bürgerbeteiligung, welche diesen Namen verdient, zum Durchbruch zu verhelfen. An der Umsetzung dieses Zieles werden wir die politischen Parteien zu messen und zu kritisieren haben. Dieses Recht kann uns niemand nehmen. Wer uns trotzdem der Nähe zu einer Partei (oder auch mehreren Parteien) bezichtigt, sollte bedenken, dass er sich selbst damit in eine Position begibt, die - allen Beteuerungen zum trotz - als partizipationsfeindlich einzustufen ist, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Dr.Helmut Hofmann |