AKT!ON 21

Böse Beispiele...


Freitag, 19. Oktober 2012

...verderben gute Sitten, sagt ein altes Sprichwort. Das politische Establishment hat dazugelernt. Befragungen erfolgen zähneknirschend, wo man nicht darum herumkommt, die Bevölkerung durch Alibi-Beteiligung bei Laune zu halten. Dafür werden die Befragungsergebnisse durch die obrigkeitliche Festlegung, wer, wann, wie und worüber zu befragen ist, in einer Weise beeinflusst, die jedem totalitären Regime zur Ehre gereichen würde.

All das ist die Folge der Befragung bei der Bacherpark-Garage, die in einer Mediation ausgehandelt wurde und daher nicht von der Obrigkeit alleinbestimmt worden war. Dabei ist es wohl traurig, dass eben diese Mediation nur durch das Ausharren der „Zeltbesetzer“ bei Minusgraden und durch das große Medienecho möglich geworden war.

Bürgerbeteiligung als „Niederlage“ ?

Wenn die Bevölkerung anders denkt als die Obrigkeit und sich dieser gegenüber durchsetzt, dann betrachten das „die droben“ perverserweise als Niederlage. Seit der „Niederlage“ vom Bacherpark gehen die Uhren anders. Schon bei der Befragung über die Luegerpark-Garage zog Wiens Garagenkoordinator Theuermann unter stillschweigender Duldung der Bezirksvorsteherin Stenzel (der die Wiener Wirtschaft die Hände gebunden hatte) alle Register der Unfairness gegenüber der Bürgerinitiative, glücklicherweise erfolglos, denn die Zeit reichte, um die betroffene Bevölkerung über diese üblen Tricks aufzuklären.
Die Obrigkeit lernt aus ihren „Niederlagen“. Bürgermeister Häupls 5 Fragen waren entweder so suggestiv formuliert, dass die Antworten im vorhinein feststanden, oder sie betrafen Belanglosigkeiten, die gar nicht in die Landeskompetenz fielen. Trotzdem ging die Frage zur Nacht-U-Bahn in die eigene Hose, weil der Manipulationsspielraum, den sich die Wiener SPÖ für Briefwähler zurechtgelegt hatte, ausgerechnet von der ÖVP „missbraucht“ wurde.

Gute und schlechte Bürgerbeteiligung

Das war zu einer Zeit, da die Wiener Grünen noch Opposition waren und sich über ein derartigen Bürgerbefragungstheater mit Recht aufregen konnten. Wer feine Ohren hatte, vernahm aber damals schon die Ansage der deutschen Grün-Kollegin Kynast, die ganz offen erklärte, sie würde ein Plebiszit gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof nicht akzeptieren. Volksentscheid ja – wenn er in die eigene Politik passt. Ein Narr, der beim Eingehen des Wiener Koalitionspaktes geglaubt hat, es werde hier anders kommen, weil „Wien anders“ sei.
Im Standard vom 28. September 2012 ist ein Interview mit der Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou erschienen, in dem auch von Bürgerbeteiligung die Rede ist. Die sich darauf beziehenden wesentlichen Aussagen lauten:

„Gebühren nicht zahlen zu wollen, ist aus der Sicht des Einzelnen ja hochvernünftig. Deshalb delegieren wir derartige Entscheidungen an die Politik, die die Pflicht hat, im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln.“
„Uns ist bewusst, dass es eine knifflige Sache wird, die Fragestellung verfassungskonform zu formulieren.“
„Man startet mit viel Beifall und in der Annahme, dass jeder weiß, was es bringt. Mittendrin entsteht eine Dynamik, die die Stimmung kippen lässt. Die Konsequenz ist, dass man die Menschen von Anfang an viel intensiver einbindet und informiert.“
„Genau deshalb habe ich darauf bestanden, dass wir das bestehende und erprobte Modell jetzt und nicht irgendwann ausweiten.“


Frozzeleien

Gebühren sind anlassbezogene Vergütungen für unmittelbar beanspruchte öffentliche Leistungen oder für die Benützung von öffentlicher Einrichtungen. Da fragt sich schon, welche „hohe“ Vernunft jemanden zu der Forderung veranlassen sollte, das alles umsonst zu bekommen. Eine derartige Sicht wäre vielmehr ein sehr unvernünftiger Egoismus. Vielleicht ist Frau Vizebürgermeisterin schon einmal aufgefallen, dass gegen echte und nicht überteuerte Gebühren noch kaum jemand gemurrt hat. Im Gegenteil: gemurrt wird höchstens dann, wenn das „Delegieren an die Politik“, die zwar die Pflicht hätte, im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln, diese Pflicht aber in vielen Fällen unzureichend wahrnimmt und die Gebührenpolitik mehr nach opportunistischen Grundsätzen ausrichtet. So etwa erfolgen unmittelbar nach Wahlen und unter fadenscheinigen Begründungen weit über dem Lebenshaltungskostenindex liegende Erhöhungen, die Zornesröte unter den Menschen verursachen. Wohlgemerkt: nicht die Erhöhungen an sich, sondern die dafür genannten Gründe, durch die sich die Menschen gefrozzelt fühlen.

Was hinter solchen Wortspenden steht, ist ja auch schon eine solche Frozzelei: da wird eine Verfassungsbestimmung, die auf dem Generalverdacht beruht, der Bürger sei politisch unmündig, bemüht, um ihm die Folgen dieser angedichteten Unmündigkeit unter die Nase zu halten. Das sind wir zwar von SPÖ und ÖVP seit langem gewöhnt, aber dass eine Grüne so schnell zu einem Ionseco’schen Nashorn wird, kommt doch ein wenig überraschend.

Verfassungswidrig oder doch nur „knifflig“?

Wie fadenscheinig Ionescos Nashörner argumentieren, kann man aber an jenem Satz ablesen, mit dem eingestehen muss, dass das, was man dem ÖVP-Wunsch nach Befragung über die Kurzparkzonenerweiterung entgegengehalten hat, nun für die selbst vorbereitete Befragung nicht gelten darf. Da wird auch dem Dümmsten klar, dass das eine knifflige Sache werden wird, eine sehr knifflige sogar. Hoffen wir, dass sie im Sinn der Verfassung und nicht gegen diese gelöst werden wird. Besser wäre es allerdings, solche bürgerfernen Verfassungsbestimmungen aus dem vorigen Jahrtausend einer Revision zu unterziehen. Dass die Grünen dazu initiativ werden, kann man - zumindest unter ihrer derzeitigen Führung - wohl kaum erwarten.

Späte Einsicht

Dass man die Menschen von Anfang an viel intensiver einbindet und informiert, fordert Aktion 21 schon seit langem. Die Frau Vizebürgermeisterin sollte das ja wissen, denn es steht in dem ihr vor mehr als einem Jahr übergebenen Forderungskatalog ganz vorne. Offenbar ist sie vor lauter Bestehen darauf, dass das bestehende und erprobte Modell jetzt und nicht irgendwann ausgeweitet wird, nicht dazu gekommen, sich v o r dieser Ausweitung mit unseren Anregungen auseinander zu setzen. Die Reue kommt zu spät, das Schlamassel ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wären wir schadenfroh, könnten wir sagen: das kommt davon, wenn man Bürgerbeteiligung nicht ernst nimmt. Aber wir sind nicht schadenfroh, denn den Schaden haben ja ohnedies wir Bürgerinnen und Bürger, das kann uns gar nicht froh stimmen.

Geringe Erwartungen


Die für uns schmerzliche Erkenntnis: die Grünen sind, was Bürgerbeteiligung betrifft, nicht anders. Sie haben sich ihr zwar nicht so deutlich verschlossen, wie dies bei Herrn Hora, dem treuen Diener seines Klubobmanns Schicker, der Fall ist. Letzterem verdanken wir wenigstens die Gründung von Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung. Seine Einstellung ist in der Publikation „Raus aus der Sackgasse“ durch lange Briefe hinlänglich dokumentiert.
Der Haken dabei ist nur: Frau Vassilakou ist Stadträtin für ein Ressort, das erstmals ausdrücklich auch Bürgerbeteiligung umfasst. Ihren Wortspenden zum Thema kommt daher besonderes Gewicht zu. Sie sind alles andere als ermutigend.

Helmut Hofmann
Wien Mitte
Aufgeschnappt Beitrag
Perfekte Analyse 
von U.S. am 2012-10-19 um 18:54 Uhr
Ein Gegenargument hätte ich trotzdem: Die Grünen waren und sind für mich dem Namen nach grün. Einige grüne Sozialromantiker und einige wenige Grüne, die es tatsächlich ehrlich meinen, sind und waren dabei. Es haben aber in dieser Gruppe auch etliche Kommunisten ihre Heimat gefunden. Und genau diese "outeten" sich, nachdem die Grünen auf Häupls Gnaden in die Stadtregierung gekommen sind. Sieht man sich die Struktur der Grünen genauer an, sind sie ein Sammelsurium von Originalitäten. So sieht auch ihre Politik aus. Vassilakou will die Mariahilferstraße zur Teilfußgängerzone. Sie wird es. Proteste und Bedenken der nicht grünen Anrainer und Geschäftsleute, die damit gar nicht zufrieden sind, werden nach dem Motto "Wir Grünen wissen, was ihr zu wollen habt", im Keim erstickt. Tut mir leid, ich kann diese Partei nicht ernst nehmen. Ertragen muss ich sie derzeit. In Wien kann man nur hoffen, dass dieser Spuk ein baldiges Ende findet. Neuwahlen wären das beste.
wie immer, ein eindrucksvolles Schriftstück von Dr. Hofmann. 
von JK am 2012-10-19 um 14:48 Uhr
ob das wohl viele Leute lesen werden??

aber: "die Hoffnung stirbt zuletzt"!
Ionescos Nashörner 
von CR am 2012-10-19 um 12:51 Uhr
Danke für diese Analyse. Besser gehts nicht.
Glasklar.

Die Rathaus-Koalition.
Bürgerbeteiligung.
Mediationsmißbrauch.

Otto-Wagner-Spital: Mediation Steinhof - das Waterloo für die Mediatoren.
Für die GRÜNEN unterschreibt Fr. Dr. Kickert die Mediationsvereinbarung.
Ihre Zusicherung: Frau Vizebürgermeisterin ist daran gebunden und wird "selbstverständlich"die Mediationsvereinbarung achten.

3 Wochen später zeigt sich: Diese Mediationsvereinbarung wird von der GRÜNEN Fr. Vizebürgermeisterin Vassilakou gebrochen.
Nashörner 
von U.S. am 2012-10-19 um 19:09 Uhr
Vassilakou gehört zu jenen, so wie ich im ersten Posting geschrieben habe, die "wissen, was wir zu wollen haben". Was Steinhof betrifft, irrt sie gewaltig. Ihre Art über alles hinwegzufegen, will keiner. Das OWS Gelände wird hoffentlich zu ihrem Waterloo. Ihr als Griechin steht es ganz und gar nicht zu - selbst wenn sie Häupls Vizebürgermeisterin ist - mit diesem sensiblen Ort so umzugehen. Außerdem ist es
skandalös, mit Steuergeldern monatelang eine Mediation zu finanzieren, um danach die Bürgerinitiative vor den Kopf zu stoßen.