Donnerstag, 12. April 2012
In einer Zeit, in der die Bürger mündig geworden sind, in der sie sich vom Wutbürger zum Mutbürger gewandelt haben, in der die aufgewachte und aufgebrachte Bevölkerung – nicht nur in Österreich – das Vertrauen in die etablierte Politik völlig verloren hat und zusehen muss, wie ihr in 67 Nachkriegsjahren mühsam aufgebauter Lebensstandard langsam aber sicher den Bach hinuntergeht, in der sie sich anschickt, ihr Schicksal selber in die Hand und den Regierenden aus der Hand zu nehmen, fällt etablierten Parteien, des gegenseitigen Verdreschens müde geworden, nichts Besseres ein, als auf die Bürger einzudreschen. Nicht nur in Worten.Ganz besonders tut sich dabei die Wiener ÖVP hervor, die den Eindruck erweckt, als wolle sie unter ihrem neuen – wievielten? – Obmann die Siegespalme im Wählerbashing erringen, wenn sie schon sonst im Wettbewerb mit anderen politischen Parteien ziemlich glücklos operiert. Seit dem Abgang von Tschirf und Gerstl, die mit dem „einfachen Wahlvolk“ wenigstens den Dialog gesucht haben, lässt man diesem nun über die Medien ausrichten, was man von ihm hält: nichts. Es wird sich’s merken. Die Wiener ÖVP hat ihr Konto mehrfach überzogen. Sie überschlägt sich geradezu, um die auffällig zahlreichen Akte der Bürgerverachtung zu vernebeln, mit denen sie in letzter Zeit die Bevölkerung bedacht hat. Auf dem Tivoli straft sie die bösen Bürger, die ihr den Tausch des Parks gegen ein Hotelprojekt ihrer politischen Akademie durch Einfordern vernachlässigter gesetzlicher Verpflichtungen vermasselt haben, durch Aussperrung vom Parkgelände. Bei der auf dem Augartenspitz entstehenden Mehrzweckhalle verteidigen ihre Vertreter heute noch in gehässigen Pamphleten – Argumente hatten sie ja nie welche – den eklatanten Gesetzesbruch des Bundesdenkmalamtes, ohne den der Bau niemals genehmigt worden wäre, statt den Herrn Landeshauptmann darauf hinzuweisen, dass es alleine in seiner Macht läge, dem missachteten Gesetz zur Geltung zu verhelfen (woran dieser natürlich nicht im Traum denkt). Bei der auf dem Luegerplatz geplant gewesenen Garage hat sie – Hand in Hand mit der damals noch alleine regierenden SPÖ – eine Bürgerbeteiligungsfarce mit kläglichen Gutachten inszeniert und, als alle Versuche, die Garage zu argumentieren, an den wachen Bürgern gescheitert waren, eine „Befragung“ inszeniert, die allen Grundsätzen des freien, geheimen, gleichen und persönlichen Wahlrechts Hohn gesprochen hatte. Immerhin hatten öffentliche Diskussionen und der Einblick der Bürger in dieses Befragungsprozedere zu einer schweren Schlappe der SPÖVP-Phalanx geführt, aus der sie ihre Lehre gezogen hat. Sie lautete: die Befragung über die von den Bürgern abgelehnte Garage auf dem Neuen Markt so zu wiederholen, dass die Bürger von der Befragung und deren Prozedere überrollt würden und die eigentliche Frage – Garage ja oder nein – gar nicht mitbekommen. Die Wiener SPÖ operiert da schon etwas geschickter, wenn auch alles andere als beteiligungsfreundlich. Aber sie beherrscht das Spiel mit dem schwarzen Peter, den sie einmal der ÖVP, einmal den Grünen gekonnt zuspielt und – wie beim Augarten – so tut, als ginge sie das alles nichts an. Ihr wahres Gesicht zeigt sie gegenüber einer Lokalen Agenda 21-Gruppe, der die Diskussion über ein ihr und ihrem Boss unangenehmes Thema schlichtweg untersagt wird und die Beteiligten untergriffig diffamiert werden, bei der Garage im Schulhof (!) des Gymnasiums Geblergasse, bei den mehr als anrüchigen Verbauungsplänen am Steinhof, beim geplanten Lobau-Wahnsinn und bei all jenen Großprojekten, die einem absolutistischen Größenwahn näher sind als dem, was sich die Bürgerschaft Wiens für ihr gutes Geld wünscht. Für Verlustprojekte à la Skylink wird ja sie zur Kassa gebeten werden, wenn sich die wahren Verursacher längst aus dem politischen Staub gemacht haben werden. Und die Grünen? Seit sie in Wien so tun, als würden sie mitregieren, ist es um Bürgerbeteiligung ziemlich ruhig geworden. Es genügt eben nicht, dem einzigen von ihnen verwalteten Ressort ein Beteiligungsmascherl umzuhängen. Wenn die mit diesem Mascherl ausgestattete Zuständige in aller Öffentlichkeit sagt, sie wisse nicht, wozu Bürgerbeteiligung gut sei, wenn eine Bezirksmandatarin es ablehnt, mit den Leuten von der Straße zu reden, weil ihr das, was ein Bundeskanzler einmal „Gesudere“ genannt hat, auf den Keks geht, wenn die Parteichefin selbst Bürgerbefragungen kategorisch ablehnt, wenn es um Glaubensfragen der Partei wie das Parkpickerl geht, dann beginnt selbst den Naivsten zu dämmern, was Lippenbekenntnisse sind. Die Wiener FPÖ hält sich da vergleichsweise bedeckt. Ihre früheren Ausritte zumindest gegen die Freunde des Augartens sind eingeschlafen, den „Umfaller“ bei der Landstraßer Markthalle hat der damals in arge Bedrängnis geratene Bürgermeister sicherlich „honoriert“ und auch sonst ist das Verhältnis zur Bürgerbeteiligung nur auf gelegentliche Forderungen nach direkter Demokratie, je nach tagespolitischem Zweck, ausgerichtet. Wenn sich die FPÖ in Sachen Partizipation bedeckt hält und sie nicht lauthals einfordert, dann ist sie wenigstens ehrlich. Hinschauen, nicht wegschauen! In einer Zeit, in der Politiker, in deren Hände die Nation ihr Schicksal gelegt hat, das in sie gesetzte Vertrauen schamlos missbraucht haben, mit Moral und Anstand umgegangen sind wie mit lästigen Fliegen, suchen die Menschen einen Halt und finden statt dessen Ausflüchtige, Leugnende und – man sollte es nicht glauben - Feindselige. Was soll man von Politikern halten, die betroffen tun und salbungsvoll von „einigen schwarzen Schafen“ sprechen, mit denen die große Mehrheit ihres Berufsstandes angeblich nichts zu tun haben will? Haben sie denn jahrelang geschlafen und weggeschaut? Oder hat man sie nicht ans Eingemachte herangelassen und sie haben gekuscht und sich’s gefallen lassen (müssen), weil sie sonst ihre Politikerkarriere gefährdet hätten? An wen haben sie sich gehalten: an ihre Wähler oder an ihre Parteiführer? Immer noch zieht sich die Schleimspur derer, die sich als anständig ausgeben, durch den Sumpf von Korruption, Rechtsbrüchen, Wahlbetrug und wie die politischen „Tugenden“ von heute heißen. Wo bleibt der Aufstand der „Hinterbänkler“, wenn es wahr sein sollte, dass sie mit den nun aufgedeckten Machenschaften nichts zu tun haben? Wo ihre Solidarität mit ihren Wählern, die genug haben von Heuchelei, Unanständigkeit und brutaler Machtpolitik? Verräterische Wortspenden Gelegentlich kommen Wortspenden von Politikern i.R. Franz Fischler hat da kürzlich zum Thema Korruption gemeint, „wenn ein Politiker bei einer Firma interveniert, ob sie einen Verein fördern würde, ist das – sofern es offen gemacht wird – die Entscheidung dieser Firma, ob sie das tut.“ Das stößt einem ebenso auf wie die Klage darüber, dass jetzt schon wegen (lumpiger) 10.000 € „Spende“ gleich von Korruption gesprochen wird. Gibt es denn überhaupt kein Unrechtsbewusstsein, keinen Anstand und keine Moral, die es einem Menschen mit politischem Einfluss verbieten sollten, den normalen und geordneten Verlauf der Geschäfte durch „Interventionen“, d.h. durch ein Dazwischenfunken, zu beeinflussen? Gerade eine Partei, die auf eine Marktwirtschaft setzt, in der Angebot und Nachfrage regieren und Regulierungen aus Gemeininteresse, wo sie notwendig sind, für alle gleich sein sollten, sollte „Interventionen“ (noch dazu zu Gunsten ihr Nahestehender) scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Entrüstung oder Verzweiflung? Die Ausritte gegen initiative Bürgerinnen und Bürger kommen unter dem Mäntelchen einer noch dazu schlecht gespielten Entrüstung einher. Die Panik, die Politiker dazu bringt, ist eher auf die Verzweiflung zurückzuführen, die – im Zeitalter des Internet – ein Dahintümpeln im alten System von Tag zu Tag fragwürdiger erscheinen lässt. Neue Ideen sind gefragt, aber nicht, wie man das Wahlvolk mit neuen Mittel gängeln und schurigln kann, sondern wie im 21. Jahrhundert das vom Volk ausgehende Recht wirksamer umgesetzt werden kann. Helmut Hofmann Aufgeschnappt Beitrag |