Sonntag, 31. Juli 2011
Die Neurobiologie, deren wichtigstes Forschungsfeld das menschliche Gehirn ist, hatte in den letzten 15 Jahren ungeheure Fortschritte zu verzeichnen. Die bisher nicht bekannten Ursachen altbekannter menschlicher Verhaltensweisen können nun erklärt werden. Nicht nur das, sie können auch als im Gehirn angelegte, mehr oder weniger automatische Vorgänge nachgewiesen werden. Einen solchen Nachweis hat nun Joachim Bauer in seinem Buch„Schmerzgrenze – vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“ dargestellt. Seine Kernaussage: Es gibt keinen Aggressionstrieb. Unser Gehirn bewertet mangelnde Wertschätzung (durch Ausgrenzung und Demütigung) wie körperlichen Schmerz und reagiert deshalb auch darauf (wie auf körperlichen Schmerz) mit Aggression. Diese kann sich sowohl gegen uns selbst als auch gegen andere richten. Der „Wutbürger“ ist daher in Wahrheit ein „Schmerzbürger“, der seine Geringsschätzung durch die Obrigkeit, die ihm in deren präpotentem Gehaben, in der Missachtung seiner Rechte, im Vorenthalten wichtiger Informationen und schließlich in der abfälligen Weise, in der seine Interessen abgetan werden, begegnet. Der mündige Bürger empfindet diese Geringschätzung als leidvolles Erleben. Sein Gehirn muss darauf mit Aggression reagieren. Die Frage ist nur, wogegen sich diese richtet. Ende der Willkür Lange Zeit wurden die, deren Aggression sich gegen die Obrigkeit richtete, von dieser postwendend bestraft. Das war schon in der Familie so, wenn gedemütigte Kinder aufbegehrten, und das war in der Öffentlichkeit nicht anders. Goschen halten, Hände falten lautete die Devise. An dieser Stelle ist ein Wandel eingetreten, irreversibel. So wie wir heute das Recht des Kindes auf die Würde seiner eigenen Persönlichkeit zu akzeptieren gelernt haben, so wie wir gelernt haben, dass Kinder keine Sache sind, die der Willkür der Eltern bedingungslos ausgeliefert sind, genau so wird die Obrigkeit lernen müssen zu akzeptieren, dass die Zivilgesellschaft, von der das Recht ausgeht, auch die korrekte Anwendung dieses Rechts ihr gegenüber einfordert, dass sie nicht mehr der Willkür und dem Rechtsmissbrauch der Obrigkeit ausgeliefert sein möchte. Die Obrigkeit und all jene, die dem Obrigkeitsstaat anhängen, werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass man Demokratie nicht mit hohlen Phrasen am Volk vorbeimogeln kann. Wer es dennoch versucht und die Bürgerinnen und Bürger dadurch zu Menschen zweiter Klasse zu degradieren versucht, darf mit der Aggression dieser Menschen rechnen, züchtet durch sein Verhalten den sogenannten „Wutbürger“. Was macht die Bürger wütend? Nun gibt es politische Obergscheitln, die uns belehren wollen, dass der „Wutbürger“ eine schlechte Lösung sei und dass die sich in Bürgerinitiativen zusammenrottenden Menschen vor Eigennutz triefende Anarcho-Rebellen seien. Diese seien gegen jede Veränderung, man dürfe ihnen ja nicht nachgeben, man sehe ja, was dabei herauskomme. Soweit sich die von solchen Obergscheitln verbreiteten „Weisheiten“ gegen Bürgerinnen und Bürger richtet, die ein legitimes Anliegen der Allgemeinheit gegen eine halsstarrige Obrigkeit vertreten, besorgen sie das obskure Geschäft derer, die zu Lasten der Allgemeinheit durchaus egoistische Ziele verfolgen. Es ist die bekannte Methode des „Haltet den Dieb“-Rufens, mit der sie den lästigen Widerstand der Anstand und Moral einfordernden Zivilgesellschaft zu brechen versuchen. Wenn das nicht reicht, dann verlegen sich die Obergscheitln darauf, die Wutbürger als Opfer einer systematischen Verhetzung hinzustellen. Erst dadurch, dass man sie auf den bösen Gedanken des Aufmuckens gegen eine willkürliche Obrigkeit bringe, würden Aggressionen geweckt, die dann zu den schlimmsten Untaten führen könnten. Die dabei am lautesten nach dem Verfassungsschutz rufen, sind diejenigen, gegen die die Zivilgesellschaft eben deshalb protestiert, weil sie es selbst mit der Verfassung nicht sehr genau nehmen. So weit die Obergscheitln in ihrem scheinbaren Eifer für das, was sie unter Rechtsstaat verstehen, einige wenige, welche die gesetzlichen Grenzen vertretbaren zivilen Ungehorsams eklatant überschreiten (und die wird es, egal auf welcher Seite, leider immer geben), mit den vielen gewaltfreien Bürgerinitiativen in einen Topf werfen, handeln sie bewusst intellektuell unredlich und verstärken durch dieses ihr Handeln nur die aus dem Gefühl der Ohnmacht aufsteigende Wut der Bevölkerung. Den Wutbürger produziert die Obrigkeit Nicht Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung also erzeugt Wutbürger, sondern jene Obrigkeit, die friedliche Menschen so gering schätzt, dass ihre Aggression neurobiologisch bedingt unabwendbar wird. Gerade Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung versucht, durch Etablierung grundlegender Bürgerrechte auf Partizipation solche Aggressionen zu verhindern. Das kann nur dann gelingen, wenn die von den Menschen gewählten Abgeordneten zu ihren Wählerinnen und Wählern gehen und sich permanent – und nicht nur vor Wahlen - der Diskussion mit ihnen stellen. Im Rahmen geordneter Partizipationsverfahren ist dies möglich, ohne den Terminkalender zu überfordern. Die Damen und Herren Abgeordneten müssen es nur wollen. Engagement und Mut Anders die Bevölkerung: für sie genügt das Wollen leider nicht. Sie hat am Wahltag ihre Macht in andere Hände gegeben. Sie muss die von ihr legitimierten Machtträger dazu bringen, sich der Herkunft ihrer Macht zu besinnen. Dazu gehören Engagement und Mut. Mit Raunzen, Matschkern und Sudern wird nichts erreicht werden. Je mehr Menschen sich aber unter einem Dach zusammentun und in großer Zahl von ihren Mandataren Rechenschaft über ihr Verhalten verlangen, desto eher werden ihnen diese dort eine Mitsprache zugestehen, wo sie verlangt wird und wo sie - früh, ehrlich und ergebnisoffen – zu nachhaltig besseren Resultaten führt als an der Bevölkerung vorbei gehende, von der Politik gesteuerte und im Geruch unsauberer Machenschaften stehende „Expertenlösungen“. H.Hofmann Aufgeschnappt Beitrag |