Donnerstag, 5. Mai 2011
In schöner neoliberaler Manier macht sich in Wien eine nicht ganz neue Art von Verdrängungswettbewerb breit. Wie vor mehr als 100 Jahren werden Stadtteile „umstrukturiert“ und ihre Bewohner damit konfrontiert, dass sie sich von ihren bisherigen (geschätzten) Lebensgewohnheiten zu verabschieden haben.Schleichende Enteignung Die „Umstrukturierung“ erfolgt aber nicht, wie in der Gründerzeit, schlagartig, sondern schleichend, durch scheibchenweise Änderung von Flächenwidmungen und durch punktuelle „Schwerpunkte“ in der Verbauung. Sie erfolgt nicht planvoll, sondern als Reaktion auf Investorenwünsche. Es ist wie beim Mühle-Spiel: wenn man die Zusammenhänge durchschaut, ist es meistens zu spät, die Zwickmühle ist da und man entrinnt ihr höchstens durch Opfer, denen der Gewinn einiger Profiteure gegenüber steht. Turbokapitalismus übelster Sorte – und alles unter dem Deckmantel des „Sozialismus“, neuerdings mit dem ökologischen Feigenblatt bedeckt. Parteinutz geht vor Gemeinnutz Der Unterschied zu den Enteignungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist, dass es diesmal nicht am rapiden Bevölkerungswachstum liegt, sondern am Profitwachstum einiger weniger Unternehmen, die unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit nach dem Privateigentum breiter Bevölkerungskreise greifen. Und wieder einmal redet niemand mit den Betroffenen, wird an der Bevölkerung vorbei „entwickelt“. Man konspiriert mit „privaten“, politischen Parteien nahestehenden Wohnbaugenossenschaften, legt auf dem grünen Tisch Gebiete fest, in denen man sich lukrative Bautätigkeit erhofft, und überfährt die Betroffenen mit einer beabsichtigten Widmungsänderung, die bereits – und das ist ein Skandal, auf den nicht laut genug und immer wieder hingewiesen werden kann - vor ihrer öffentlicher Auflage (von der Partei oder von den Parteien) bereits beschlossene Sache ist. Profit durch Auseinanderdividieren Wem es nicht recht ist, der kann ja wegziehen – so der Tenor all jener, die solches Vorgehen gutheißen und verteidigen. Wegziehen bedeutet in vielen Fällen: verkaufen. Verkaufen zu einem Dumping-Preis, denn wer will schon ein Häuschen, das seiner Umrahmung durch einige Hochhäuser gewiss sein darf? Dreimal darf man raten, wer sich als Käufer meldet und wie viel er zahlt. Je später man verkauft, desto geringer der Preis. Wer übrig bleibt, schaut durch die Finger. Es ist das uralte Spiel der Mächtigen mit den Ohnmächtigen. Im 19. Jahrhundert wurden die Gewerkschaften erfunden, um solche Spiele zu durchkreuzen. Heute sind es Gewerkschafter, die mithelfen, die Ideale von einst zu verraten. Solidarität ist der Neuen Klasse ein Gräuel. Das „divide et impera » des Julius Cäsar, das „teile und herrsche“ (auf gut Wienerisch „Auseinanderdividieren“) ist auch für Gewerkschaftssozialisten von heute ein legitimes Mittel zur politischen Machterhaltung. Beispiele Die Liste der Beispiele ist lang. Sie reicht von der „Stadtkrone“, einer Umzingelung der Wiener Innenstadt durch einen Kranz von Hochhäusern, die am Donaukanal begonnen hat und mit dem Leseturm des Museumsquartiers sowie mit den 6 ursprünglich geplanten Hochhäusern zu Wien Mitte fortgesetzt werden sollte, bis zu den aktuellen Versuchen am Stadtrand, Stadtplanung durch ein mehr oder weniger unverhohlenes Reagieren auf Investorenwünsche zu ersetzen. Im innerstädischen Bereich ist der Spielraum für dieses Reagieren nicht mehr sehr groß. Die letzte großangelegte Stadtbildzerstörung, die Vernichtung der innerstädtischen Dachlandschaft durch eine wild ausufernde, unter dem Decknamen „Dachausbau“ sich über die Stadt dahinwälzende Aufstockungsinvasion beginnt sich tot zu laufen. Der Tsunami ebbt ab. Hinter sich lässt er die Spur einer bleibenden Verwüstung, die mit den Namen Häupl und Schicker untrennbar verbunden bleiben wird. Die Schnapsidee der „Stadtkrone“ scheiterte an dem weit über die Grenzen hinausgetragenen Bürgerzorn, der die Investoren vorsichtig gemacht hat. Das traurige Finale, das sich zu Wien Mitte abspielt und mitsamt der Markthallenschließung und anderen unrühmlichen Begleiterscheinungen eine zwecks Gesichtsverlustvermeidung abgesungene Justamentarie des Bürgermeisters darstellt, wird uns alle noch viel Geld kosten. Einbrüche in denkmalgeschützte historische Parkanlagen wie dem Stadtpark oder Augarten zeigen, dass das System auch vor der Verbauung von unbebauten Erholungsflächen nicht zurückscheut. Glücklicherweise haben mutige Bürgerinitiativen die Schändung etlicher kleinerer Parkanlagen durch Parkgaragen verhindern können. Unbelehrbare versuchen – siehe Geblergassse ihre Schäflein noch schnell ins Trockene zu bringen, bevor auch „oben“ ein Umdenken einsetzt. Der Gipfel der Plan- und Kopflosigkeit ist aber in den äußeren Bezirken zu beobachten. Ob es sich um Großprojekte wie Rothneusiedel, Kometgründe oder Monte Laa, oder ob es sich um eine Filettierung der Lebensqualität in Grinzing, Hietzing (Fleschgasse), Döbling (Hohe Warte), Jedlesee, Alte Donau, Kaisermühlen und vielen anderen Orten handelt, immer geht es darum, dass Begehrlichkeiten von Investoren mehr wiegen als die Interessen jener Bevölkerung, in deren vorgeblichen Interesse diese Investoren in ach so selbstloser Weise tätig werden. Dass den meisten von ihnen eine „gewisse Nähe“ zu einer der führenden politischen Parteien nachgesagt wird, stört dabei nicht, im Gegenteil: es gehört zu einem System, bei dem man sich seinen Teil denken darf, allen Beteuerungen der „führenden“ Politiker zum Trotz, in Hinkunft endlich auf mehr Sauberkeit bedacht zu sein. Quargelsturz oder Modernisierung? Natürlich kann man eine Stadt nicht unter den Quargelsturz stellen. Natürlich muss es eine Entwicklung geben, die den modernen Errungenschaften Rechnung trägt. Und natürlich sollte diese Entwicklung – das wird leider übersehen – auch nachhaltig sein. Nachhaltig heißt: sie darf nicht nur heute jemandem billige Vorteile bringen. Diese Vorteile sollten auch in späteren Jahrzehnten für möglichst viele Menschen anhalten, ohne dass dafür vorhandene Errungenschaften geopfert werden müssen. Den Teufel durch Beelzebub auszutreiben ist nicht schwierig, dazu bedarf es keiner kostspieligen Kommunalverwaltung. Die städteplanerische Kunst, die man im Wien der letzten Jahrzehnte schmerzlich vermisst hat, besteht in der idealen Verbindung von Alt und Neu, nicht im bedingungslosen Ersetzen des Alten durch Neues dort, wo es einem Investor gerade fürpass kommt und wofür er bereit ist, sich „erkenntlich“ zu zeigen. Nachhaltige Stadtplanung sollte stets auf die Bewohner und deren urbane Lebensqualität abzielen. Dabei wird man sich zu der Erkenntnis durchringen müssen, dass die richtige Planung für die Bewohner nur mit ihnen und nicht gegen sie stattfinden kann. Die Erfahrung lehrt, dass vieles, was über die Köpfe der Bevölkerung hinweg im politischen Elfenbeinturm geplant und beschlossen wurde, kläglich gescheitert ist. Die serienweisen Abrisse von Bauwerken der letzten 50 Jahre belegen dies eindrucksvoll; Nachhaltigkeit sieht anders aus. H. Hofmann Aufgeschnappt Beitrag |