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Hofschranzen und Speichellecker:
Passt’s?
Der Unfug mit den Gutachten


Dienstag, 15. März 2011

Im Dienstleistungsgewerbe, das in Zeiten begrenzter Stellenangebote mehr denn je um die Zufriedenheit der Kundschaft besorgt ist, hat sich die - dem Zeitgeist entsprechend knappe - Frage eingebürgert: „Passt’s?“ Meistens handelt es sich um eine bloße Höflichkeitsfloskel, Manchmal jedoch steht die echte Sorge um das Wohl der Kundschaft dahinter. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Frage nicht offen ausgesprochen, sondern – in voraus- oder auch nacheilendem Gehorsam – stillschweigend vorausgesetzt wird. Es handelt sich dabei – erraten! – um eine ganz bestimmte Zunft, nämlich jene der Gutachter.

Kein Gutachten gegen den Auftraggeber


In Fällen, in welchen die fachkundige Beurteilung eines Sachverhaltes für eine zu treffende Entscheidung unerlässlich ist, greifen Entscheidungsträger auf den fachkundigen Rat entsprechend qualifizierter Experten zurück. Dieser Rat wird zumeist in Form sogenannter „Gutachten“ erteilt. In mehreren Fällen ist die Einholung oder Vorlage solcher Gutachten vom Gesetzgeber sogar zwingend vorgeschrieben.
Gutachten – mit Ausnahme derjenigen, die vom Gericht veranlasst und nach den einschlägigen Honorarbestimmungen für Gerichtssachverständige (schlecht) entlohnt werden – stellen ein nicht unwesentliches Zusatzeinkommen für die damit beauftragten Sachverständigen dar. Grund genug, dem jeweiligen Auftraggeber zu Diensten zu sein, nicht nur, was die rasche Fertigstellung der Gutachten betrifft, sondern auch in der Bestätigung des von ihm erwarteten Ergebnisses. „Passt’s?“ Schließlich bezahlt er ja nicht dafür, dass ihm der Gutachter Schwierigkeiten bereitet. Die Formel ist einfach: Sage mir, wer das Gutachten bezahlt, und ich sage Dir, zu welchem Ergebnis es kommt. Es gibt nur sehr, sehr wenige Gutachter, die es sich leisten können, einen Auftrag abzulehnen, bei dem sie befürchten müssen, entweder den Boden intellektueller Redlichkeit verlassen oder den Auftraggeber enttäuschen zu müssen. Mit einem Wort: Gutachten, die gegen den Auftraggeber sprechen, werden erst gar nicht gemacht. Daher gibt es sie auch nicht.
Mit seltenen Ausnahmen. Es gibt hochqualifizierte Gutachter, die verstehen es, ein Gutachten so abzufassen, dass der Auftraggeber das für ihn Günstige herausliest, ohne dass es bei genauerem (sachverständigen) Hinsehen herausgelesen werden kann. Dabei bewahrt der Gutachter seine intellektuelle Redlichkeit, ohne seinen Auftraggeber zu enttäuschen. Doch diese Kunst beherrschen nur Wenige.

Verräterische Fragestellung

Ein guter Witz erzählt von einem schielenden Richter, der drei vor ihm stehende Angeklagte um ihre Personalien befragt. Er wendet sich an den ersten: „Wie heißen Sie?“ Der zweite antwortet: „Karl Bauer.“ Der Richter: „Sie habe ich nicht gefragt.“ Worauf der dritte antwortet: „Ich habe auch nichts gesagt!“
Ein weniger guter Witz – vor allem weil es sich um einen aus der Alltagspraxis handelt - erzählt von einem Gutachter, dem ein Bauträger folgende Fragen zur gutachterlichen Beurteilung stellt: „Welchen Rang hat Wiens Lebensqualität unter den Weltstädten?“ und: „Ist das geplante Bauwerk geeignet, diese Lebensqualität wesentlich zu beeinflussen?“ Nachdem Frage 1 glücklicherweise mit „einem der vordersten Ränge“ beantwortet werden kann und Frage 2 bei jedem durchschnittlichen Projekt mit „nein“ beantwortet werden muss, weil der Einfluss auf die Lebensqualität einer Großstadt in der Regel nicht wesentlich von einem einzelnen Projekt abhängen kann, folgert der Projektträger daraus, dass sein Projekt der hohen Lebensqualität in dieser Stadt keinen Abbruch tut.
Ein Gutachten ist eben nur so gut wie die dem Gutachter gestellten Fragen. Da er nur diese zu beantworten hat, entscheidet die Fragestellung, wie das Gutachten ausfällt. Durch geschickte Fragestellung – vor allem dadurch, dass heikle Fragen nicht gestellt, sondern umgangen werden – kann jedes gewünschte Resultat herbeigerufen werden. Nur wenige Gutachter widerstehen der Versuchung, bei solchen Spielchen mitzumachen, den Auftrag wegen mangelnder Seriosität abzulehnen und auf das gute Honorar zu verzichten.

Aussagewert von Gutachten

Damit ist der Wert eines Auftragsgutachtens von vorne herein stets zweifelhaft und die Berufung auf ein solches Gutachten nur für denjenigen von Interesse, der mit kritischem Fachwissen ausgestattet das Gutachten studieren und sich selbst daraus eine Meinung bilden kann. Wer es sich leisten kann, bestellt zu einem ihm nicht genehmen Gutachten flugs ein Gegengutachten eines zumindest ebenso renommierten Gutachters, welches zu einer diametral verschiedenen Aussage wie das Erstgutachten gelangt. Fälle, in denen – wie bei einem Schiedsgericht – sich beide Gutachter auf einen neutralen Drittgutachter einigen (wobei sich erst Recht die Frage stellt, wer diesen bezahlt), haben absoluten Seltenheitswert.

Gutachten: streng geheim

Nun kann man mit dieser weithin unbefriedigenden Situation leben wollen und sich damit trösten, dass Gutachten in den meisten Fällen ohnedies nur ein Deckmäntelchen für einen politischen Willen darstellen, der kraft bestimmter Stärkeverhältnisse auch ohne Gutachten durchgesetzt werden könnte. Allerdings: mit einem „ordentlichen“ Gutachten gepanzert verspürt man dann so etwas wie einen Rückenwind – oder zumindest keinen Gegenwind - in der öffentlichen Meinung. Solche Gutachten sind manchmal so penetrant fadenscheinig, dass man sie so gut wie möglich geheim hält, weil sie sonst alleine schon durch ihre schwächliche, mitunter sogar bei den Haaren herbeigezogene Argumentation gegen die beabsichtigte Entscheidung sprechen. Auch kann man aus nicht veröffentlichten Gutachten Passagen zitieren, die für den eigenen Standpunkt sprechen, und solche, die dagegen sprechen, einfach ignorieren.

Geld oder Ruf

Für die Wissenschaft, ihre Hüter und ihre Exponenten, insbesondere für Universitätsrektoren und -professoren kann eine solche Praxis verheerende Folgen nach sich ziehen. Zwar gibt es zunächst Geld, Geld für den Gutachter, aber vielleicht auch dann und wann für sein Institut. Auf Zeit gesehen aber verlieren die Träger käuflicher, als Wissenschaft getarnter Parteinahme dramatisch an Glaubwürdigkeit. Dass dies auf die Institute und Universitäten, denen sie angehören, abfärbt, versteht sich von selbst.
Die Bedeutung des Themas unterstreicht ein Artikel der Wiener Zeitung vom 13.11.2007 – „Sind unsere Politiker schlecht beraten?“ - , in welchem Untersuchungen namhafter Institute zu diesem Thema zitiert wurden. Dabei schält sich die Tatsache heraus, dass Politiker von Gutachtern eindeutige Lösungen erwarten. Die Unwilligkeit oder Unfähigkeit, mit Gutachten umzugehen, die keine eindeutige Rechtfertigung für eine bestimmte Entscheidung liefern, die dem schon mit dem Lesen und Verstehen eines Gutachtens (politisch) überforderten Entscheidungsträger nicht das Erwartete bringen, kann nichts deutlicher zum Ausdruck bringen, als der angesichts zweier widersprechender Gutachten hilflos anmutende Ausruf eines Bezirksvorstehers: „Wenn das eine Gutachten so sagt und das andere das Gegenteil, wem soll ich dann glauben?“ (Wobei diese „Hilflosigkeit“ darin bestand, ein von ihm unerwünschtes Zweitgutachten mit den Argumenten des Erstgutachtens nicht widerlegen zu können).

Warum keine öffentliche Diskussion?

Es gäbe ein probates Mittel, Gutachten auf den Zahn zu fühlen und die intellektuelle Redlichkeit ihrer Verfasser auf die Probe zu stellen: Gutachten, die in irgend einem Verwaltungsverfahren als Entscheidungsgrundlage dienen, sollten in dem gleichen Maße einer öffentlichen Diskussion unterzogen werden können, wie dies in Gerichtsverfahren durch die dort gegebene Rollenverteilung selbstverständlich ist. (Auch in Gerichtsverfahren gibt es mitunter parteiische Gutachten; dort ist es Sache der Anwälte, solche Gutachten in Zweifel zu ziehen und das unabhängige Gericht von der Haltlosigkeit darin aufgestellter Schlussfolgerungen zu überzeugen). Aber was geschieht? Gutachten, die Ansatz zur Kritik geben könnten, werden unter abenteuerlichen Vorwänden (unter anderem der Verschwiegenheitspflicht des Gutachters gegenüber dem Auftraggeber oder der Amtsverschwiegenheit über „interne Vorgänge, die zur Entscheidungsfindung beitragen“) so lange und so weit wie möglich unter Verschluss gehalten (so geschehen beim Gutachten über die Abbruchwürdigkeit des Kaipalastes oder beim Gutachten über die Ungefährlichkeit der Brandrauchentlüftung für die U 4 im Zusammenhang mit dem Projekt Wien Mitte) oder „fehlen“ als wesentliche Beilagen zu öffentlich aufgelegten Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen oder zur öffentlichen Einsicht stehenden Akten im gewerberechtlichen Verfahren.

Wes Brot ich ess...

Die Geheimnistuerei hat wohl ihren guten Grund: kommt man nämlich an solche Gutachten doch irgendwie heran und hat die Zeit, sich mit ihnen eingehend auseinander zu setzen, ist man oft über die Schludrigkeit sowohl der erhobenen Daten, der „großzügigen“ Auswahl der Parameter und der nicht immer ganz logischen Schlussfolgerungen entsetzt, zumal, wenn es sich um renommierte Verfasser handelt. In den seltenen Fällen, in denen man diese zur Rede stellen und auf die Mängel ihrer Gutachten hinweisen kann, setzen sie sich über solche Kritik im Bewusstsein der über ihnen waltenden schützenden Hände locker hinweg. Das gilt ebenso, wenn ein Standardgutachter der Stadt Wien, selbst Mitglied eines Beirates des Auftraggebers, in einem Gutachten eine grundsätzlich entgegengesetzte Position einnimmt als in einem anderen Gutachten (und in einem Fall den Bau von Garagen als zusätzlichen Verkehrserreger ablehnt, während er anderswo eine zusätzliche Verkehrserregung durch eine Garage bestreitet). Manchem (noch unerfahreneren) Gutachter fällt dabei nicht einmal auf, dass er sich sogar verbal mit dem Auftraggeber identifiziert und damit das zu Beginn dieses Beitrags Gesagte bestätigt.

Lohn der „Treue“

Die beiden Gutachter, die sich mit ihren „Gutachten“ zur Platane auf dem Luegerplatz bis auf die Knochen blamiert hatten und nicht nur vom Hausverstand eines Laien; sondern in der Folge auch von einem unabhängigen Professor der Universität für Bodenkultur und die Kraft der Tatsachen klar widerlegt wurden, erfreuen sich nach wie vor bevorzugt der Auftragserteilung durch die Stadt Wien. Dabei hatte es Prof. Lötsch mit seiner Bemerkung auf den Punkt gebracht: „Überdies gibt es in und um Wien mehrere Baumschadenfachleute und Baumchirurgen, die ... eine Meinung abgeben könnten – soferne eine hinreichende Unabhängigkeit von der Gemeinde besteht.“

Mittel zur Abhilfe

Selbstverständlich erfordert der vorgeschlagene Lösungsansatz für den immer unerträglicher werdenden Missbrauch von Gutachten genügend Zeit für das Studium der öffentlich zu diskutierenden Gutachten. Im Rahmen einer kurzen Präsentation einer Studie, für welche der Gutachter immerhin mehr als eine Stunde Zeit benötigt hat, ist eine solche Einarbeitszeit nicht nach Stunden, sondern nach Tagen, ja mitunter Wochen zu bemessen. Vor allem aber – und das dürfte der springende Punkt sein – sollten die Vertreter der entscheidenden Behörde objektiv, d.h. nicht mit vorgefasster Meinung oder gar vorweggenommenem Ergebnis der Diskussion folgen. Die Beiziehung von Amtssachverständigen wäre zu erwägen. Immerhin haben sie bei Verzicht auf eine gelungene Replik (oder Berichtigung des Gutachtens) gegenüber öffentlich vorgetragenen, berechtigten Einwänden gegen ein Gutachten damit zu rechnen, wegen Amtsmissbrauchs belangt zu werden. Diese Sanktion ist privaten Gutachtern gegenüber nicht möglich; hier wäre es höchstens Sache eines untadeligen und unbeeinflussbaren Rektors, die Frage der Gefälligkeitsgutachten im akademischen Senat zur Sprache zu bringen und auf diesem Wege auf Abhilfe zu dringen - eine Illusion.

Sachverstand durch Bürgerbeteiligung

Das beste Mittel zur Abhilfe aber ist eine funktionierende Bürgerbeteiligung. Man wird davon ausgehen dürfen, dass sich an einem Diskurs über ein Gutachten auch Leute mit Sachverstand beteiligen. Gibt es diesen Diskurs, versagen, wie bei den beiden Erstgutachten zur Platane auf dem Luegerplatz, schwache Argumente. Sie sind widerlegbar durch logisches Denken, durch Haus- und Sachverstand und letztlich durch die (erzwungene) Feststellung von Tatsachen. Nicht die Berufung auf Sachverstand, wohl aber die Berufung auf Sachverständige macht verdächtig, denn dort, wo das Argument ausgeht, bedarf es seines Ersatzes durch ein Sachverständigengutachten. Das ist freilich nur ein Name. In Wahrheit spricht daraus bloß die wirtschaftliche Übermacht. Denn Gefälligkeitsgutachten sind eine Ware: man kann sie kaufen. Es mutet wie ein Treppenwitz an, wenn man aus dem Mund eines Ex-Stadtrates hören konnte, ein Gutachten habe keinen Wert, man könne jedes Gutachten kaufen. Gemeint hat er dabei allerdings ein ihm nicht genehmes Gutachten. Ob er mit seiner Bemerkung die von ihm selbst veranlassten Expertisen auch gemeint hat?


H. Hofmann
Aufgeschnappt Beitrag
Baumgutachten "unter Verschluss" 
von johanna kraft am 2011-05-02 um 18:36 Uhr
Die 150 Jahre alte Kastanie - sie war einer Tiefgarageneinfahrt im Weg - auf der Liegenschaft 1130 Fleschgasse 4-6 hatte laut Privatgutachter des Bauwerbers (SÜBA) auch einen gefährlichen Pilz. Weder den Pilz noch das Gutachten selbst konnte durch unabhägige Kontrolle überprüft werden. Das unterliegt in Wien dem Amtsgeheimnis und dem Datenschutz!
Hier ist dringend eine Änderung im Sinne der Transparenz notwendig!
Widmungen aus Gefälligkeit 
von Stefan Pawlata am 2011-03-18 um 21:59 Uhr
Ein großartiger Artikel, den ich vollinhaltlich unterstütze! Leider ist die Gefälligkeitswidmung in Wien gelebte Praxis. Was die im Politik-Filz angesiedelte Wirtschaft bauen will, wird durchgewunken und per Umwidmung politisch ermöglicht. Die Bürger dürfen pro Forma Stellung nehmen. Sie könnten ihre Stellungnahmen aber direkt ans Salzamt schicken oder gleich im Rundordner entsorgen. Weil die Entscheidungsträger machen eh, was sie bzw. die Bauträger und Baufirmen wollen.
Ich kann nur hoffen, dass diese Mißstände mit der grünen Regierungsbeteiligung abgestellt bzw. wesentlich erschwert werden.