AKT!ON 21

Wiener Zeitung, Artikel vom 21. Jänner 2011
Direkte Demokratie als moderne Illusion


Freitag, 21. Jänner 2011

Ein Gastkommentar
Von Andreas Kirschhofer-Bozenhardt

Wer sich in den letzten Wochen durch die Leitartikel mühte, ist unweigerlich auf Begriffe wie "Wutbürger" und Schilderungen von Politikverdrossenheit gestoßen, die meist in die Forderung nach mehr Wähler-Mitentscheidung mündeten. Die verstärkte Einbindung der Bürger ist zu einem modischen Verlangen geworden. Vorschläge für Volksbegehren oder -entscheide gelten als Mittel gegen die Krise unseres Parlamentarismus.


Mit der Forderung nach Plebisziten verbindet sich die Überzeugung, dass es sich bei der direkten Demokratie zugleich um die bessere, die eigentliche Demokratie handelt. Das aber ist entschieden zu bezweifeln.
Erstens zeigt die Bevölkerung, wenn man ihr demoskopisch auf den Zahn fühlt, bei aller deklamierten Forderung nach Mitbestimmung ein recht mäßiges Verlangen danach. Groß ist dieses nur bei der Zuwanderungs- und Asylpolitik, beim Bau von Kraftwerken, bei der Wahrung österreichischer Rechte in der EU, bei der Pensionsregelung und bei den Sozialgesetzen. Im Grunde haben die Wähler wenig Lust, den Politikern die historische Verantwortung abzunehmen.
Ein zweiter Einwand besteht darin, dass sie komplizierte Sachverhalte auf dichotome Entscheidungen reduziert. Vereinfacht ausgedrückt hat der Bürger in Volksabstimmungen nur die Wahl zwischen heiß oder kalt, schwarz oder weiß. Im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie erlaubt die plebiszitäre keine Zwischentöne. Ja-Nein-Entscheidungen mögen bei wenigen Schwerpunktproblemen berechtigt sein – für die Mehrzahl der Probleme taugen sie nicht.

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Leserbrief von Hr. Dr. Hofmann an die Wiener Zeitung

Einspruch, Euer Ehren!


Nichts ist gefährlicher als Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit in der verbalen Ausdrucksweise, weil Sätze wie „Was die Bevölkerung weit lieber hätte als Plebiszite, sind kraftvolle, ideenreiche, prinzipientreue, durchsetzungsfähige Persönlichkeiten“ als Rechtfertigung von Figuren à la Adolf Hitler durch den Volkswillen missverstanden werden könnten.

Solche Brandsätze gegen die Demokratie rühren von einer begrifflichen Nonchalance, die dem Beitrag jedwede Seriosität nehmen. Da wertet der Leiter eines renommierten Meinungsforschungsinstitutes (!) die verstärkte Einbindung der Bürger in einen von ihm als „Wähler-Mitentscheidung“ bezeichneten (und vermutliche als Einbindung in Entscheidungsprozesse gemeinten) Vorgang als „modisches Verlangen“, ohne der Frage auf den Grund zu gehen, was wohl zu diesem immer stärker werdenden Verlangen führt. Da wird nicht nur Einbindung in Entscheidungsprozesse, politologisch korrekt „partizipative Demokratie“ genannt, mit plebiszitärer Demokratie gleichgesetzt (oder gar verwechselt), sondern in einem Aufwaschen mit altbekannten plebiszitkritischen, auf die partitzipative Demokratie jedoch nicht zutreffenden Argumenten verbal niedergeknüppelt.

Peinlich für ein Marktforschungsinstitut: angesichts von alleine 200.000 in rund 60 Wiener Bürgerinitiativen als Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung zusammengeschlossenen und Mitsprache bei verschiedensten lokalen Vorhaben fordernden initiativen Bürgerinnen und Bürgern geht die von Herrn Kirschhofer-Bozenhardt sehr unreflektiert behauptete Beschränkung des Mitspracheinteresses auf Zuwanderungs- und Asylpolitik, Kraftwerksbau, EU-Rechte, Pensionsregelung und Sozialgesetzgebung total daneben, findet sich doch unter den Gegenständen der erwähnten Bürgerinitiativen nicht ein einziges der von ihm erschöpfend aufgezählten Themen.

Besonders pikant ist – als Folge der unbekümmerten Gleichsetzung von plebiszitärer und partizipativer Demokratie - die Behauptung, es fehle ein vorausgehender Dialog, weil gerade dieser als essentiell für eine funktionierende Partizipation eingefordert wird.
Immerhin beruhigt im Chaos des Vorgebrachten die Zustimmung zum Einfließen von plebiszitären Elementen in die repräsentative Demokratie, ohne die wohl keine Demokratie der Welt auf Dauer das Auslangen finden kann. Unbeantwortet lässt Herr Kirschhofer-Bozenhardt dabei allerdings die Frage, was da angesichts der bereits in unseren Verfassungen vorhandenen plebiszitären Elemente zusätzlich konkret einfließen solle. Der Beisatz, dass dabei „die repräsentative Umfragemethode“ (wohl die des IMAS?) „einen wesentlichen Beitrag leisten“ könne, mag zumindest teilweise darüber Aufschluss geben. Auf den Gedanken, dass partizipative Demokratie in Konkurrenz zu etablierten Meinungsforschungsinstituten stehen könnte, hat mich allerdings erst dieser Beitrag gebracht.

Helmut Hofmann
1030 Wien