AKT!ON 21

Wahlanalysen und –prognosen:
Meinungsforscher und Sudleser


Freitag, 15. Oktober 2010

Einmal mehr haben sich die Meinungsforscher bis auf die Knochen blamiert. So sehr, dass darüber gnädig der Mantel des Schweigens gebreitet wird. Und jetzt gilt es ja, das Wahlergebnis zu analysieren. Da wird fröhlich drauflosschwadroniert, nur um Erklärungen zu finden für das, was zwar alle erwartet haben, aber nicht wahr haben wollen. Dabei ist es gar nicht so schwierig, aus den Tatsachen auf deren Ursachen zu schließen, wenn man vor diesen nicht die Augen verschließt.

Die „Ergebnisse“ von Meinungsumfragen sind weitgehend von den gestellten Fragen und der Auswahl jener abhängig, denen sie gestellt werden. Geschickte Meinungsforscher können solcherart die Ergebnisse, die von ihren Auftraggebern gewünscht werden, „herbeizaubern“, ohne sich deshalb Ergebnisfälschung vorwerfen lassen zu müssen. Einen zusätzlichen Persilschein besorgt man sich auch noch mit dem unbewiesenen Zusatz, dass sich FPÖ-Wähler bei Befragungen angeblich nicht gerne offen deklarieren. Die Tatsache, dass Wahlverhalten und Meinungsumfragen auseinanderklaffen, lässt sich damit kaum erklären. Zielführender wäre es wohl, die Befragungsmethoden einer Revision zu unterziehen, wenn sie immer wieder zu unhaltbaren Ergebnissen führen. Unterschiede von 7 Prozentpunkten sind mehr als peinlich, sie machen Meinungsforschung zu bevorstehenden Wahlen schlicht entbehrlich. Noch peinlicher sind Wahlanalysen, die für das, was Wähler bewegt, blind sind. Das gilt ganz besonders für die Analytiker in den politischen Parteien, die für tendenzöse Antworten besonders anfällig sein dürften.

Unzufriedenheit

Man stelle sich vor: da fährt eine mit absoluter Mehrheit ausgestattete Partei, die von sich immer wieder lauthals behauptet, ein Muster an Bürgerbeteiligung abzugeben, in unzähligen Fällen über die Meinung der Bürgerinnen und Bürger drüber und vergrault damit hunderttausende potenzielle Wählerinnen und Wähler. Sie hört nicht deren Kritik an sinkender Lebensqualität, egal, ob sie sich gegen gigantomanische Stadtverschandelung, gegen Korruption, gegen Umweltsünden, gegen die Untätigkeit gegenüber Migrationsfragen und anderen sozialen Problemen oder gegen das stetige Nachlassen der öffentlichen Sicherheit richtet. Man stelle sich vor, dass viele ihrer Wählerinnen und Wähler ihrer Unzufriedenheit durch den Wahlzettel Ausdruck verleihen möchten

Alternativlosigkeit

Man stelle sich weiters vor, sie suchten auf dem Wahlzettel nach geeigneten Alternativen, von denen sie Besserung erwarten dürften, und fänden dabei drei ernst zu nehmende Alternativen, von denen zwei (in sich an oder unter der Oberfläche Zerstrittene) klar und deutlich zu erkennen geben, zwecks Lösung ihrer internen Probleme am liebsten mit der Drüberfahrpartei in eine Koalition eintreten zu wollen, mit der man dann all das, was bisher geschah, gemeinsam veranstalten könne, in der Hoffnung, so die vielfältigen Unmutsäußerungen der Bürgerschaft besser in den Griff zu bekommen. Und man stelle sich vor, dass viele Wählerinnen und Wähler in ihrer Verzweiflung nach anderen Optionen Ausschau halten.

Protestwählerverhalten

Es bedarf also keiner großen Fantasie, sich auszurechnen, dass dieses gemeiniglich und sehr oberflächlich „Protestwähler“ genannte Wählerpotenzial entweder nicht bzw. ungültig wählt, seine Stimmen einer aussichtslosen Splitterpartei gibt (was ungefähr auf das Gleiche hinausläuft) oder aber jene Partei wählt, von der es sicher sein kann, dass es seiner Oppositionsrolle weiter gerecht bleiben wird, weil die Mehrheitspartei mit ihr ohnedies nicht zusammenarbeiten will, darf oder kann.

Scheu vor Konsequenzen

Das Signal ist unübersehbar und wird doch geflissentlich übersehen, und zwar von allen Kommentatoren, Wahlanalytikern und sonstigen Berufssudlesern: in Wien hat eine klare absolute Mehrheit der Wahlberechtigten dem amtierenden Bürgermeister Häupl und seinem Team eine klare Absage erteilt und nur deshalb keine Alternative angeboten, weil der einzige ernsthafte Konkurrent Strache für viele Unzufriedene nicht als Bürgermeister in Frage kommt.

Der politische Anstand geböte einem solcherart - auch über die Stimmenverluste von ÖVP und GRÜNE – abgelehnten Bürgermeister, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Am Sessel zu kleben, nur weil niemand Besserer in Sichtweite scheint, ist die schwächste aller Begründungen. Wer weiß, ob sich im Falle eines Rücktritts nicht endlich jemand finden würde, der den Karren von der schiefen Ebene, auf der er sich zusehends befindet, wieder aufwärts führt – bevor es zu spät ist?

Helmut Hofmann
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