Freitag, 1. Oktober 2010
Wie wir schon in unserer Publikation „Raus aus der Sackgasse“ festgestellt haben, getraut sich keine politische Partei, offen gegen Bürgerbeteiligung aufzutreten. Wohl alle dürften den Zug der Zeit erkannt haben, was aber manche von ihnen nicht daran hindert, am überkommenen politischen System mit Klauen und Zähnen festzuhalten, weiterhin Politik am Bürger vorbei und sogar, wenn es nicht anders geht, in offener Konfrontation mit dem Wähler zu betreiben. Die Antworten auf 6 grundsätzliche Fragen sprechen Bände.Wer und wie wurde geantwortet? Antworten haben wir von den GRÜNEN, der KPÖ, der ÖVP und der SPÖ erhalten. Die Antworten waren ausführlich, viele Worte tragen aber nicht immer zur Klarheit bei. Aber vielleicht ist die auch nicht immer gewollt. Unklar bleibt auch, warum sich die FPÖ solchen Fragen verschließt. Das war schon bei den letzten Wahlen der Fall, wo man es auch auf die damaligen innerparteilichen Schwierigkeiten zurückführen konnte. Dieser Grund fällt diesmal weg. Bleiben zwei Möglichkeiten: für solche Grundsatzfragen gibt es keine kompetenten Ressourcen (Funktionäre), wie sie Großparteien zur Verfügung stehen, oder man weiß mit Partizipation nichts anzufangen. Letzteres stünde allerdings in diametralem Gegensatz zum Parteiprogramm. Es verwundert daher schon, dass die im Namen von zahllosen Bürgerinnen und Bürgern gestellten Fragen nicht einmal eines Verweises auf dieses Parteiprogramm gewürdigt werden. Frage 1: Was hat Ihre Partei – insbesondere im Bundesland Wien – zur Verwirklichung einer wirksamen Bürgerbeteiligung konkret zu unternehmen versucht? Schon bei der Gretchenfrage – wie hältst Du es mit der Bürgerbeteiligung? – zeigt die SPÖ eine beunruhigende politischen Inkompetenz. Sie verwechselt bzw. vermengt konsequent (bewusst?) direkte und partizipative Demokratie. Antworten, die sich mit ersterer befassen, sind keine Antworten auf unsere Fragen. Die grundlegende Frage wurde daher nur von derzeitigen Oppositionsparteien beantwortet, wobei selbst die von den GRÜNEN einbekannte „Kooperation mit Bürgerinitiativen“ und die von der KPÖ erwähnte Mitwirkung von Parteiangehörigen in Bürgerinitiativen nicht als wirksamer Beitrag zur Verwirklichung von Bürgerbeteiligung in Wien angesehen werden kann; die ÖVP bleibt eine Konkretisierung überhaupt schuldig. Besonders hervorzuheben ist das beredte Schweigen der SPÖ hinsichtlich der von ihr selbst versprochenen Einräumung von Klagsbefugnissen für Bürgerparteien und der Abschaffung des Prinzips der Amtsverschwiegenheit. Offenbar gelten die von Faymann und Rudas wiederholt abgegebenen Bekenntnisse zur Bürgerbeteiligung nur für den Moment, in dem sie über willfährige Medien hinausposaunt werden. Fazit: die SPÖ ist der Frage ausgewichen, die übrigen Parteien haben zwar ein grundsätzliches Bekenntnis zur Partizipation gegeben, aber (ÖVP) die erbetene Konkretisierung entweder nicht einmal versucht oder (GRÜNE, KPÖ) auf nicht besonders wirksame Maßnahmen beschränkt. Frage 2: Es existieren vom Ministerrat verabschiedete Standards für Bürgerbeteiligung. Dennoch hat es in Wien keinen einzigen Fall gegeben, in welchem die Anwendung dieser Standards angedacht, geschweige denn ernsthaft in Erwägung gezogen worden wäre. Welche Bemühungen haben Sie - insbesondere im Bundesland Wien – unternommen, um Partizipation im Sinne und unter Anwendung dieser Standards umzusetzen? Die SPÖ geht auf die gestellte Frage überhaupt nicht ein und belehrt nur über die Standards, die nicht sie, sondern wir in die Diskussion gebracht haben. Dabei lässt die Eingrenzung des „offenen und transparenten Dialoges“ mit „repräsentativen Verbänden und Interessensgemeinschaften“ aufhorchen, die nicht nur diesen Standards fremd ist, sondern einmal mehr der Willkür, mit welchen (parteinahen) Bürger-Repräsentanten ein Dialog stattfinden soll, den Weg bereiten soll. Nicht verständlich ist die Absicht der ÖVP, die unter einem ÖVP-Minister erarbeiteten und vom Ministerrat verabschiedeten Standards „genau zu prüfen“. Ebenso wenig verstehen wir im Zusammenhang mit den Standards den Hinweis auf die Tätigkeit des ÖVP-Vizebürgermeisters Dr. Görg, der sachliche Einwände gegen das vorgelegte Projekt Wien Mitte zwar zu diskutieren bereit war, aber gleich zu Beginn dezidiert erklärt hatte, dass dies „nichts am Projekt ändern“ würde. Demgegenüber wirken die Antworten der GRÜNEN und der KPÖ wenigstens ehrlich, auch wenn sie uns nicht ganz zufrieden stellen können. Die GRÜNEN meinen: „Wir verlangen laufend, dass der Dreischritt Information, Diskussion, Entscheidung eingehalten wird und haben diesbezüglich zahlreiche Anträge gestellt, die aber jeweils von der Mehrheit im Gemeinderat abgelehnt wurden.“ Frage 3: Haben Sie zurzeit in naher Zukunft realisierbare Vorstellungen über eine im Sinn dieser Standards funktionierende Bürgerbeteiligung? Die SPÖ geht auch auf diese Frage nicht ein und begnügt sich damit, den derzeitigen Zustand als zufriedenstellende Partizipation darzustellen.. Die ÖVP bringt erfreulicherweise die Einführung eines Petitions- und Bürgerantragsrechtes mit zwingender Behandlung in die Diskussion. Noch erfreulicher wären Versuche in der letzten Wahlperiode gewesen, die anderen Oppositionsparteien für einen entsprechenden Antrag im Gemeinderat zu gewinnen. Aber es ist ja nie zu spät, auch nach der Wahl nicht. Wir werden diesen interessanten Gedanken weiter verfolgen und bieten schon jetzt unsere Mitarbeit an. Ein konkreter Ansatz ist der KPÖ-Vorschlag, vor jeder Bezirksvertretungssitzung, ein Bürgerforum in Anwesenheit der Mandatare zu veranstalten. Ein weiterer Ansatz, der vielen Bürgerinitiativen aus dem Herzen spricht, gilt der Erweiterung der oftmals bürokratisch eingeschränkten und damit ad absurdum geführten spärlichen Möglichkeiten, in einigen öffentlichen Verfahren als Bürgerinitiativen Parteienrechte zu erhalten. Frage 4: Sind Sie bereit, gemeinsam mit den in Aktion21 – pro Bürgerbeteiligung zusammengeschlossenen aktiven Bürgerinnen und Bürgern sowie mit anderen an Partizipation interessierten, nicht in politischen Parteien organisierten Bürgerinnen und Bürgern, ein entsprechendes Beteiligungsmodell zu erarbeiten? Auch auf diese Frage geht die SPÖ überhaupt nicht ein und behauptet statt dessen einmal mehr die mangelnde Notwendigkeit eines Beteiligungsmodells in Wien. Sehr erfreulich hingegen ist das uneingeschränkte Bekenntnis von ÖVP, GRÜNEN und KPÖ zur Erarbeitung eines Beteiligungsmodells mit entsprechenden Bürgerorganisationen. Frage 5: Sind Sie grundsätzlich bereit, die Verankerung eines Beteiligungsmodells in der Stadtverfassung mitzutragen? Die Antwort der SPÖ zeigt die mangelnde Unterscheidungsfähigkeit zwischen partizipativer und direkter Demokratie und verweist darauf, dass der SPÖ die mehr auf dem Papier als in der politischen Wirklichkeit zu findenden Instrumente der direkten Demokratie genügen, um Partizipation zu verankern. Demgegenüber sind die GRÜNEN und die KPÖ ohne Einschränkung bereit, die Verankerung eines Beteiligungsmodells in der Stadtverfassung mitzutragen und die ÖVP mitzutragen. Die ÖVP knüpft eine solche Bereitschaft an einige Vorbehalte, die befürchten lassen, dass unsere Frage missverstanden wurde. Insbesondere ist im Hinblick auf die Antwort zu Frage 4 nicht erkennbar, welche „Experten“ die von der UNO-Weltkonferenz empfohlenen Experten, die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, ersetzen sollten. Frage 6: Haben wir mit unserem Verhalten dazu beigetragen, dem Gedanken einer wirksamen Partizipation aufgeschlossener oder auch skeptischer gegenüber zu stehen und wenn ja, womit konkret? Man bekommt den Eindruck, die SPÖ beiße sich lieber die Zunge ab, als wenigstens diese letzte Frage aufrichtig zu beantworten. Mehr als der Freude über jeden, der sich „aktiv an der Weiterentwicklung unserer Stadt beteiligt“ ist nicht zu haben. Die Erwähnung von Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung – positiv oder negativ - ängstlich zu vermeiden, erinnert an die vielen Metaphern, mit denen man in früheren Zeiten versucht hat, den Teufel zu umschreiben. ÖVP und GRÜNE sind da mutiger. Sie räumen ein, dass wir alle im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien stärker sensibilisiert haben und ein wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft in Wien geworden sind. Die Grünen weisen aber darauf hin, dass es leider in der Stadt Kräfte gäbe, die ihre Interessen ungestört durchsetzen wollen. Diese wären gegenüber BürgerInnenbeteiligung skeptisch. Auch die KPÖ meint, unser Engagement sei wichtig ist für die gelebte Demokratie im Lande. Fazit: die gelegentlichen Lippenbekenntnisse führender Politikerinnen und Politiker der SPÖ zur Bürgerbeteiligung wirken angesichts solcher Antworten fast peinlich. Bei ÖVP, GRÜNEN und KPÖ lassen wenigstens einige konkrete Gedanken zur Umsetzung von Partizipation den grundsätzlichen Willen erkennen, etwas in diese Richtung zu tun. Wie ernsthaft dieser Wille ist und wie vehement und hartnäckig dies versucht werden wird, bleibt der Beurteilung und Hoffnung jedes Einzelnen überlassen. Die in der Vergangenheit gesetzten Schritte sind nicht gerade ermutigend. Vielleicht deshalb, weil dabei auf die Vorschläge und auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger sehr oft allzu großherzig verzichtet wurde. Helmut Hoffmann |