Mittwoch, 28. Juli 2010
Seit der eindrucksvollen Darstellung der Käfighaltung in „We feed the world“ hat in der Hühnerhaltung ein Umdenken begonnen. Bodenhaltung in freier Natur hat wieder einen Stellenwert in der Nahrungsgewinnung bekommen. In der Kinderhaltung sind wir noch nicht so weit. Zumindest nicht in Wien. Anderswo ist es anders. In Skandinavien haben frei zugängliche, gepflegte Sportanlagen in großer Zahl eine lange Tradition. Da ist es nicht notwendig, einem Verein beizutreten, wenn man eine solche Anlage benützen will. Die hohe Dichte an Sportplätzen erübrigt überdies lange Anfahrtswege für die Sportbegeisterten, die sich aktiv betätigen wollen. Wien wird vielfach mit München verglichen. Dort gibt es rund 150 Bolzplätze. Das sind frei zugängliche Plätze mit unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit, meist Grasböden, auf denen sich der deutsche Fußballnachwuchs tummeln kann, ebenfalls ohne einem Verein angehören zu müssen. Es gibt auch einige wenige Minispielfelder, das sind Fußball-Kleinspielfelder, die mit einem mit Gummigranulat gefülltem Kunstrasen, einer elastischen Tragschicht sowie Banden mit integrierten Toren ausgestattet sind. Die Platzmaße betragen etwa 13 Meter mal 20 Meter, wobei Umgangs- und Erschließungsflächen hinzu kommen. Von Käfigen ist keine Rede. Er hat eine lange Tradition, vom mittelalterlichen Bäckerschupfen über den Schönbrunner Tiergarten, die Voliéren Papagenos und die berüchtigten Gitterbetten der Nervenheilanstalten bis hin zu jenen Fußballplätzen, die für die Jugend als Grünflächenersatz bereitgestellt werden. Wien geht mit der Zeit. Der klassische Ringkampf hat sich ja auch über Freistilringen und Catchen zum Cage fight entwickelt, der die Kontrahenten nicht entkommen lässt und den Zuschauer in sicherer Distanz zu den möglicherweise wild werdenden Catcherbestien hält. Peko Baxant, ein Verfechter der Ballspielkäfige, hat das auf den Punkt gebracht: "In Wien werden die Menschen in Käfigen nicht eingesperrt - in Wien kommen die Menschen in Käfigen zusammen." Boshafte Zungen meinen, sie kämen sogar in Käfigen zur Welt. In der Stadt, in der Psychoanalyse erfunden wurde, ist Käfig nicht nur abgezäunter Raum, er ist auch Symbol für abgezäunte Gesinnung. Die Käfige, in denen die Menschen zusammenkommen, sind geistige, ideologische Käfige, allen voran politische Parteien. Das Wohlverhalten der in solchen Käfigen Gehaltenen ist von außen jederzeit überprüfbar, die Unfreiheit des Denkens einseh- und kontrollierbar und auch die Aussicht in die Freiheit ist für die im Käfig Befindlichen so weit möglich, dass sie von ihnen mit der Freiheit selbst verwechselt wird. Wer im Käfig ist, eingesperrt und ausgesetzt, hält dies für Freiheit und Wohlergehen. Der Schönbrunner Tiergarten lässt grüßen. Und doch gibt es neuerdings Fortschritt: statt auf engstem Raum eingesperrt und auf das Lebensnotwendigste beschränkt zu sein, gewährt die artgerechte Haltung so etwas wie Bewegungsfreiheit. Nicht wirklich, sondern gerade so viel, dass man den Sprung von der Legebatterie zur Bodenhaltung mit einigen Metern Auslauf publikumswirksam vermarkten kann. Artgerechte Kinderhaltung ermöglicht es, Ballspiele statt in Gängen, Stiegenhäusern oder Hinterhöfen in Käfigen auszutragen, die man in Parkanlagen setzt, um aus den Käfigen eine schöne Aussicht auf jene Umgebung zu gewähren, die durch das Gitter getrennt wird. In Stadt Wien-nahen Gazetten finden sich dennoch Lobeshymnen auf die Ballkäfige. „Es gibt über 300 Käfige, die auf die 23 Wiener Gemeindebezirke verteilt sind.“ 300 Käfige – das pfeift! Wie armselig nehmen sich dagegen die 150 Bolzplätze in München aus, zumindest für jene, die nicht wissen, wie solche Bolzplätze aussehen. Dabei wäre der Tausch „ein Bolzplatz gegen zwei Käfige“ ein sehr schlechter – für die Bolzplatzbenützer. Dass „harter“ Untergrund Gelenke schädigt und erhöhte Verletzungsgefahr mit sich bringt, hat sich in Wien noch nicht herumgesprochen. Wo sachliche Argumente fehlen, werden populistische bemüht. „Das macht den Käfig zum idealen Ort, an dem kulturelle und soziale Barrieren aufgebrochen werden. "Wesentlich ist auch das Durchbrechen geschlechtlicher Barrieren, da Mädchen hier mit Burschen zusammenkommen. Im gemeinsamen Spiel wächst der Respekt für die gebrachte Leistung", betont Baxant den emanzipatorischen Anspruch des Events.“ Bums, da staunste! Emanzipation und Integration durch Käfighaltung, alle Achtung! Darauf muss man erst einmal kommen. Auch Populismus kann innovativ sein. „Die Wiener Käfige sind seit Jahrzehnten Hotspots des urbanen Straßensports. Nun findet die 2. "Käfig-WM" statt, die kulturelle Differenzen beseitigen will.“ Solcher Schmarren wird großteils von Leuten gelesen, die nicht wissen, wie es anderswo aussieht und die auf kommunale Selbstbeweihräucherung immer noch hereinfallen. In diesen von unserem Steuergeld finanzierten Amts-Blättchen wird jede Kritik mundtot gemacht, mit Argumenten wie „Es gibt kein Schütze läuft“, jene Aufforderung, einen am Tor vorbeigeschossenen Ball zu holen, die bewegungsfaule Torleute an erfolglose Torschützen zu richten pflegen, um nicht jedem verschossenen Ball nachlaufen zu müssen, oder „der Ball kann nicht anderen friedlichen Parkbenützern an den Kopf geschossen werden“. Die so argumentieren, haben eben keine Fantasie für Alternativen zum Gitterkäfig, etwa höhengestaffelte Ballnetze, die möglicherweise weit weniger kostspielig wären. Natürlich haben auch große Sportplätze Zäune. Sie sind allerdings von der Spielfläche so weit entfernt, dass die Spieler weder das Gefühl des Eingesperrtseins haben können, noch Gefahr besteht, dass Bälle über solche Zäune hinwegfliegen. Natürlich weiß man städtischerseits um die Gitterproblematik. Nicht von ungefähr hat man die Parkgitter – etwa im Stadtpark – entfernt. Das hat dort, wo es am Platz ist, sein Gutes. Ein so großes Areal wie den Stadtpark in einen Käfig zu verwandeln ist auch wirklich nicht zeitgemäß. Dabei ist das Gefühl des Eingesperrtseins nur dort vorhanden, wo es zu wenig Raum für artgerechte Bewegung gibt. Ein höherer Beamter der Stadt Wien meinte anlässlich einer Kritik an den Käfigen am Gürtel: "Wieso, die Jugendlichen sind begeistert!“ Hätte er bei Batteriehühnern nachgefragt, hätte er eine ähnliche Antwort bekommen – die kennen nämlich auch nichts anderes als ihren Käfig und werden ja schließlich auch gefüttert, ohne sich darum kümmern zu müssen, wo sie’s Futter hernehmen. Nicht nur das allerdings haben sie mit dem Beamten gemeinsam, sondern auch das Legen ungenießbarer Eier. Helmut Hofmann |