Donnerstag, 30. November 2006
Am 30.11. fand im "Adam" Florianigasse 2 im Beisein zahlreicher Vertreter von Bürgerinitiativen und Vertreter der Presse die erste Presskonferenz der "Aktion21 -Pro Bürgerbeteiligung statt.Der im Oktober gegründete Verein, der sich als Zusammenschluss von Bürgerinitaitven und als Plattform für alle diejenigen versteht, die gegen nicht stattfindende Beteiligung und Einbindung von Bürgern bei der Planung von Projekten protestieren, stellte sich vor, formulierte seine Ziele und Forderungen. Helmut Hofmann: Sehr geehrte Damen und Herren, Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt! Der Ruf nach Bürgerbeteiligung wird immer lauter. Es gibt heute keinen Politiker mehr, der sich getraut, Bürgerbeteiligung als etwas Lästiges abzutun. Der vom Bürgermeister dieser Stadt für zuständig erklärte Stadtrat meint, Bürgerbeteiligung funktioniere in Wien ohnedies, es bestehe kein Handlungsbedarf. Wäre dem wirklich so, wir hätten heute nicht hier zusammenkommen müssen. Es steht schlecht, sehr schlecht, um eine echte Bürgerbeteiligung in dieser Stadt. Wir haben in einigen wenigen Bezirken eine Lokale Agenda 21, die nicht von Bürgerinnen und Bürgern, sondern von Politikern dominiert wird, wir haben da und dort ein Grätzelmanagement: ja, die Bevölkerung wird zaghaft ermuntert, dort mitzumachen, wo es um peanuts geht, um Parkbänke, Blumenkisten und Sandkästen. Wo es um tiefgreifende Veränderungen der urbanen Lebensqualität geht, lässt man die Betroffenen dumm sterben, fährt man über sie drüber. Wenn sie sich's gefallen lassen. Wie denken demokratiepolitisch Fortgeschrittene heute über Bürgerbeteiligung, über partizipative Demokratie - nicht zu verwechseln mit direkter Demokratie? Und wie reden Politiker in unserem Land darüber? Claus Süss: Die langjährige Oberbürgermeisterin von Heidelberg Beate Weber gilt als Vorkämpferin der Bürgerbeteiligung und als leuchtendes Beispiel - Zitat aus der Wochenzeitung "Die Zeit" - "für über 2000 deutsche Agenda 21-Gemeinden, die Gerechtigkeit, Bürgerbeteiligung, Klima- und Naturschutz ausdauernd zu ihrer Sache machen." Die Zeitschrift erwähnt auch - fast möchte man sagen, selbstverständlich - die französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, über welche sie schreibt: "Zwei Themen dominieren ihre bisherige Bilanz: Umweltschutz und partizipative Demokratie. Ihr wichtigstes Vorzeigeprojekt ist ein Mitbestimmungsprogramm, mit dem sie den Bürgern die Entscheidung über 10% des Regionalbudgets einräumen will." Alle, die auf Bürgerbeteiligung setzen, glauben an die kollektive Intelligenz oder, wie es der Biologe nennt, Schwarmintelligenz, deren Kernsatz lautet: "Das Kollektiv der Gruppe ist meistens klüger als jedes einzelne Individuum darin. Niemand kann mehr wissen, als die Summe der Marktteilnehmer, der Mitarbeiter oder eben des Schwarms." Diese "Weisheit der Massen" könnten sich auch Projektplaner im Interesse ihrer Auftraggeber zunutze machen - wenn sie nur wollten. Internationale Beispiele zeigen, wie weit Partizipation gehen kann. In Montevideo etwa erstellen die Bürger Konzepte zur Stadtteilentwicklung und sind auf Quartiersebene für die Budgetzuteilung verantwortlich. Zitat der Stadtsoziologin Andrea Breitfuß: "So fühlt man sich erheblich wichtiger genommen, als wenn man bei der Planung mitmachen darf, dann aber hören muss, dass das Geld für die Realisierung fehle. Dabei zeigte sich auch, dass die Bevölkerung viel sorgsamer und effizienter mit den knappen Mitteln umgeht, als es die Verwaltung für möglich hält." Wien ist anders. Zitat Andrea Breitfuß: "Nach wie vor lassen die meisten Politiker und Planungsbeamten die Bürger zwar ein bisschen mitreden, machen letztlich aber alles so, wie sie sich das vorstellen." Deshalb ortet sie noch ein großes Demokratiedefizit in der Stadtentwicklung. Ist die Kritik berechtigt? Die Antwort gibt die Rathauskorrespondenz, indem sie als Verbesserung der Information und Beteiligung der Bürger beim Verfahren zur Festsetzung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes die Verlängerung der öffentlichen Auflage oder den Entfall der Stempelmarken bei Stellungnahmen anführt. Kein Wort davon, dass dem Bürger zwar aus solchen Stellungnahmen keinerlei Rechte erwachsen, dass aber im Gegenzug die Anrainerrechte im Bauverfahren erheblich beschnitten wurden. Wie soll man das mit der Aussage der Sprecherin der Lokalen Agenda, Andrea Binder-Zehetner zur Deckung bringen, wenn sie meint, "die Stunde der Agenda 21 schlage auch bei heiklen Prozessen - Flächenwidmung und Verkehr seien nicht a priori auszuschließen? Helmut Hofmann: Während die Stadt Wien darangegangen ist, im Schneckentempo die Politikervorstellung von Bürgerbeteiligung in einem Verein zu institutionalisieren, der zwar den Namen Agenda 21 trägt, nicht aber den Geist dieses 1992 in Rio de Janeiro geborenen UNO-Dokumentes, hat die internationale Staatengemeinschaft längst - 2002 in Johannesburg - gefordert, von der Agenda zur Aktion, vom Programm zum Handeln überzugehen. Wien ist allerdings anders. Wirksame Bürgerbeteiligung? Das wäre ja so etwas wie institutionalisierte Revolution. Nein, danke! Man merkt: Gehmachers Geheimpapier über die "irreguläre Opposition" - so die er um Einbindung in kommunale Planungsprozesse bemühten Menschen bezeichnet - ist immer noch wirkungsmächtig. Die Bevölkerung wird von der Planung jener Projekte, die einen massiven Eingriff in ihre urbane Lebensqualität darstellen, konsequent ausgegrenzt. Immer mehr Bürgerinitiativen entstehen, Menschen, die aus ihrer Ohnmacht heraus versuchen, sich vor rollende Züge zu werfen, weil sie nicht glauben wollen, was über sie hereinbricht, Menschen, die erkennen, dass der Schwache nur im Verein mächtig ist. Nur wenn sie sich alle zusammenschließen, können sie mit ihrer Forderung nach Einbindung in Projektplanungen Gehör finden. "Aktion 21" haben wir uns genannt, in Anlehnung an das 4 Jahre alte UNO-Programm von Johannesburg. Wir wollen nachholen, was die Stadt Wien beharrlich versäumt hat: dass die kollektive Intelligenz der vielen Menschen, denen Projekte in dieser Stadt ein wichtiges Anliegen sind, bei deren Planung eine Chance erhält. Es wäre gut für diese Stadt, wenn unsere über alle Parteigrenzen hinweg tätige NGO so starken Zulauf erhält, dass Bürgerbeteiligung auch in Wien zur Selbstverständlichkeit wird. Herta Wessely: Wohin hat die Verweigerung dieser Bürgerbeteiligung geführt? In Wien-Mitte sind alle Bedenken der Bevölkerung schlagend geworden. Das Ergebnis war das Einbekenntnis, dass sich das Projekt, so wie es an den Betroffenen vorbei geplant worden war, "nicht rechne". Weil etwas, das von der Bevölkerung nicht mitgetragen wird, keine Nachfrage findet. Am Bacherplatz hat man auf die Menschen erst dann gehört, als diese bei klirrender Kälte in ihrem Park ausharrten, um auf ihre Vorstellungen aufmerksam zu machen. Die Befragung hat diese bestätigt: es besteht kein Bedarf. Hätte man das nicht gemeinsam schon viel früher und mit weniger Aufwand feststellen können? Nichts hat man daraus gelernt. Es ist immer dasselbe: im Augarten, vor dem Ernst Happel-Stadion im Prater, bei den wuchernden Parkgaragen unter den Parks, beim neuen Zentralbahnhof, beim Fluglärm und - brandaktuell - bei der Untertunnelung des Naturschutzgebietes Lobau. Und immer die gleiche Beschwichtigungswalze - es wird ja alles ganz wunderschön werden - und, wenn die nicht hilft, wenn die Menschen nicht willig sind, "dann braucht man Gewalt". Die Gewalt der Mehrheitskeule statt des Dialogs und die Gewalt der Bagger und Motorsägen. Wir werden einander helfen, uns gegen diese Gewalt zu wehren. Unsere Erfahrungen, unsere Mittel stehen allen initiativen Bürgerinnen und Bürgern offen. Und wir rechnen auf die Unterstützung der Medien, weil wir als idealistische Demokraten für etwas eintreten, gegen das es bei aufrichtiger, demokratischer Gesinnung keinen Einwand gibt. Damit ist unsere Vorstellung beendet und es liegt an Ihnen, Fragen zu stellen, die wir gerne beantworten werden. Fragen der Presse (Auszug) Presse: Ist die "Aktion 21" nun eine "Super"-Bürgerinitiative? a21: Nein, die "Aktion 21" ist lediglich ein Zusammenschluss von einzelnen Bürgern und Bürgerinitiativen, um gemeinsam unser seit 1996 verbrieftes Recht auf Bürgerbeteiligung bereits ab Planungsbeginn nachhaltiger Projekte in der Gemeinde vehementer und hoffentlich erfolgreicher als bisher einzufordern. Bisher waren einzelne Bürger oder Initiativen von der Politik davon ausgeschlossen. Fehlinvestitionen öffentlicher und privater Gelder (z.B. Bacherpark: € 460.000,- / Augarten / Lobau - S1) hätten dadurch vermieden werden können, wo ohnedies an allen Ecken und Enden Geld für wichtige Bedürfnisse dieser Stadt fehlt. Presse: Wie viele Mitglieder hat die "Aktion 21"? a21: Zur Zeit 20 Bürgerinitiativen-Mitglieder, aber fast täglich kommen neue dazu. Der aktuelle Stand ist unserer Homepage http://www.aktion21.at zu entnehmen. Presse: Wie viele Bürgerinnen und Bürger vertritt die "Aktion 21" nun? a21: Das ist schwer zu sagen, da bei uns nicht detailliert erfasst ist, wie viele Interessenten, Sympathisanten oder Unterstützer hinter den einzelnen Mitgliedern stehen. Nach der Zahl der Unterstützungsunterschriften werden es rund 20.000 - 30.000 Menschen sein. Ihnen gemeinsam ist, dass sie gehört werden wollen, dass ihnen Bürgerbeteiligung (partizipative Demokratie) ein ernsthaftes Anliegen ist. Presse: Wenn die "Aktion 21" nun doch so viele Menschen vertritt, warum ist sie dann als Verein und nicht als Partei gegründet worden? a21: Das ist einfach zu beantworten. Von einer politischen Partei erwartet man eine Stellungnahme zu allen Fragen des Zusammenlebens. Uns geht es aber ausschließlich um die Behebung demokratiepolitischer Mängel und die Umsetzung der Bürgerbeteiligung im Sinne der UN-"Agenda 21" und der UN-"local action 21", welche in der durch Politiker dominierten Wien-Variante der "lokalen agenda.21" nicht gegeben ist. Presse: Wird die "Aktion 21" nun für ihre Bürgerinitiativen-Mitglieder bei den jeweiligen Problemfällen aktiv? a21: Ja und nein. Die "Aktion 21" setzt sich für eine Bürgerbeteiligung im Sinne der UN-"Agenda 21" ein, also auch dort überall, wo eine Bürgerinitiative um diese Beteiligung kämpft. Das heißt jedoch nicht, dass die "Aktion 21" zu den konkreten Sachanliegen einer Bürgerinitiative steht. Es kann hier unter den Mitgliedern oder Teilen von ihnen durchaus kontroversielle Meinungen geben. "Aktion 21" setzt sich dafür ein, dass die Menschen gehört werden, dass sie in die Planungen eingebunden werden. Wo dies nicht geschieht oder geschehen ist, wird "Aktion 21" immer auch aktiv eingreifen, um den Menschen Gehör zu verschaffen. Sie können dabei auf die mannigfaltige Erfahrung, die mediale Präsenz, eine eingespielte Kommunikation und andere Errungenschaften der in "Aktion 21" zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen zählen. Ob eine Bürgerinitiative einer anderen mit gleichartigen Interessen darüber hinaus "Nachbarschaftshilfe" leistet, bleibt jeder einzelnen Bürgerinitiative selbst überlassen. In bezirksübergreifenden oder Wien-weiten Problemfällen wie zum Beispiel aktuell Augarten, Lobau, Luegerplatz oder die Gestaltung der Umgebung des Zentralbahnhofes oder den größten Umweltverschmutzern, den überholten und zu teuren Müllverbrennungsanlagen werden sich sicher auch andere Mitglieder als die jeweils unmittelbar betroffenen einbringen. Man kann die Wienerinnen und Wiener bei solchen Vorhaben schließlich nicht, wie in der "Lokalen Agenda 21", auf ihr Bezirksghetto reduzieren. Erstes Presse-Echo: 1.12.2006 1.12.2006 3.12.2006 Diskussion |